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Recht

Arbeitsunfall: Diese 7 Urteile sollten Chefs kennen!

Gegen Arbeitsunfälle sind Mitarbeiter zwar gesetzlich versichert. Doch wann ist es ein Arbeitsunfall? 7 Urteile, die Sie kennen sollten.

Mature Man Sitting On Staircase After Slip And Fall Accident
Inhaltsverzeichnis

Unachtsamkeit, ungenügende Kenntnis von Maschinen oder einfach Pech – die Ursachen von Arbeitsunfällen sind vielfältig. Nicht immer ist jedoch eindeutig, ob es sich tatsächlich um einen Vorfall handelt, der über die gesetzliche Versicherung abgedeckt ist. Im Streitfall müssen Gerichte entscheiden, ob es sich um einen Arbeitsunfall handelt oder nicht. Dabei wird vor allem eines klar: Es kommt auf den – manchmal kuriosen – Einzelfall an. Sieben Urteile, die Sie als Arbeitgeber kennen sollten.

Sind alle Beschwerden Folgen des Arbeitsunfalls?

Auch die Folgeerkrankungen von Arbeitsunfällen sind gesetzlich versichert. Im Falle eines Malers kam es indes zum Streit: Der Mann stürzte von einem Gerüst, weil er wegen Schmerzen in der Schulter mit seiner Last aus dem Gleichgewicht geriet. Er verletzte sich an der Hüfte.

Der Fall: Ein Maler wollte auf einem Gerüst stehend eine etwa 30 Kilo schwere Leiter auf die nächste Gerüstlage befördern. Dabei verspürte er einen heftigen Schmerz im rechten Schultergelenk. Er konnte die Leiter nicht mehr halten, die auf ihn fiel und dabei an der Hüfte traf. Die Berufsgenossenschaft erkannte den Vorfall als Arbeitsunfall an, sah aber als Unfallfolge allein die Hüftprellung. Dass der Mann außerdem an einer Schädigung einer Schultersehne litt, sei keine Folge des Unfalls, sondern eine degenerative Veränderung, argumentierte die Berufsgenossenschaft. Der Maler klagte.

Das Urteil: Das Sozialgericht Karlsruhe schloss sich der Sicht der Berufsgenossenschaft an. Der Unfall sei nicht ursächlich für die Schulterbeschwerden gewesen. Es bestehe nur ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Auftreten der Gesundheitsstörung. Die Verletzung einer Sehne, an der der Maler litt, setze einen anderen Unfallverlauf voraus, so das Gericht. Zudem belegten medizinische Befunde einen degenerativen Sehnenschaden. Dass der Mann vor dem Unfall weder Probleme im Bereich des rechten Schultergelenks gehabt habe, noch ärztliche Behandlungsmaßnahmen erforderlich gewesen seien, sei in diesem Zusammenhang unwesentlich. (Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 27.06.2019, Az. S 1 U 3580/18)

Zahlen trotz vorgeschädigter Zähne?

Eine Frau verletzte sich bei der Arbeit, als ihr aus einem Regal ein schweres Paket ins Gesicht fiel. Die erlittene Prellung war nur leicht. Wochen später jedoch bekam die Frau Vereiterungen an den Zähnen, zwei wurden gezogen. Die Berufsgenossenschaft wollte dafür nicht zahlen.

Der Fall: Bei Sortierarbeiten erlitt die Frau einen Arbeitsunfall, als ihr ein Paket von oben aufs Gesicht fiel. Sie zog sich Prellungen zu, die jedoch nicht ärztlich behandelt werden mussten. Einige Wochen später aber entwickelten sich Vereiterungen und starke Schmerzen. Folge: Zwei Zähne mussten gezogen werden. Die Frau forderte von der Berufsgenossenschaft die Versorgung mit einer Brücke im Oberkiefer. Die lehnte ab, weil an den betroffenen Zähnen bereits fortgeschrittene Parodontitis bestanden habe. Die Zähne seien als nicht erhaltungsfähig einzustufen gewesen. Die Mitarbeiterin klagte.

Das Urteil: Das Sozialgericht Karlsruhe gab der Klägerin nach Einholung eines Fachgutachtens recht. Demnach sei es nachvollziehbar, dass die Frau an den wurzelkanalbehandelten Zähnen unmittelbar nach dem Unfall keine Schmerzen empfunden habe. Durch einen entstandenen Bruchspalt hätten aber Bakterien eindringen und eitrige Entzündungen hervorrufen können. Das würde die um Wochen verzögerten Beschwerden erklären. Die parodontale Erkrankung hingegen hätte nicht in naher Zukunft zum Zahnverlust geführt. Der Unfall sei wesentliche Teilursache für den Schaden. (Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 17.12.2018 – S 15 U 3746/16 – nicht rechtskräftig)

Arbeitsunfall bei zwei Promille?

Bei einem Grillabend mit Freigetränken, zu dem der Arbeitgeber einlud, feierte eine Mitarbeiterin so heftig mit, dass sie mit 1,99 Promille im Blut auf dem Weg zur Toilette stürzte. Dabei brach sie sich das Sprunggelenk.

Der Fall: Ein Unternehmen veranstaltete eine außerbetriebliche Maßnahme, um die Zusammenarbeit seiner Mitarbeiter zu fördern. Zum Programm gehörte neben Workshops auch ein gemeinsamer Grillabend. Zumindest anfänglich hatte für die Abendveranstaltung Anwesenheitspflicht bestanden. Der Arbeitgeber trug sämtliche Kosten, auch Führungskräfte und Geschäftsführer waren anwesend. Eine Limitierung von Speisen und Getränken gab es nicht. So kletterte der Blutalkoholwert einer Mitarbeiterin auf 1,99 Promille. Das wurde später im Krankenhaus festgestellt, nachdem die Mitarbeiterin auf dem Weg zur Toilette gestürzt war und sich das Sprunggelenk gebrochen hatte. Die Gesetzliche Unfallversicherung erkannte den Sturz nicht als Arbeitsunfall an. Dagegen klagte die Frau.

Das Urteil: Bei der Verletzung der Klägerin handelt es sich um einen Arbeitsunfall, urteilt das Sozialgericht Dortmund. Es begründet die Entscheidung damit, dass der Arbeitgeber die Teilnahme am Grillabend gefordert hatte und es Unternehmensinteresse war, so die Verbundenheit im Betrieb zu fördern. Die Teilnahme sei somit als versicherte Tätigkeit zu betrachten, zwischenzeitliche Toilettengänge inklusive. Voraussetzung: Es handelt sich um eine Betriebsgemeinschaftsveranstaltung. Die muss allen Mitarbeitern des Betriebs oder in größeren Unternehmen allen Beschäftigten einer Abteilung offenstehen und von der Unternehmensleitung getragen werden. Das sah das Gericht als erfüllt an. (Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 01. Februar 2018, AZ: S 18 U 211/15)

Sturz mit Kaffeetasse – Arbeitsunfall oder nicht?

Der Chef fordert seinen Mitarbeiter auf, einen Tisch freizuräumen und Unterlagen für eine Besprechung zu holen. Auf dem Weg stürzt der Mann und fällt so unglücklich in die Scherben seiner Kaffeetasse, dass er sich schwer an der Hand verletzt.

Der Fall: Vor Arbeitsbeginn trinkt ein Mitarbeiter mit einem Kollegen Kaffee an einem Stehtisch. Dann erhält er von einem Vorgesetzten die Anweisung, den Tisch für eine Besprechung freizuräumen. Zudem soll er Unterlagen für ein Meeting holen. Auf dem Weg stolpert der Mitarbeiter mit seiner Tasse in der Hand. Die geht beim Sturz kaputt, sodass der Mann mit der linken Hand in die Scherben fällt. Dabei zieht er sich eine Schnittwunde sowie Verletzungen mehrerer Nerven und der Beugesehne zu. Der Arbeitgeber des Mannes wertet den Sturz nicht als Arbeitsunfall. Das sieht der Mitarbeiter anders und zieht vor Gericht.

Das Urteil: Das Landessozialgericht NRW entschied jetzt, dass der Sturz des Mannes zweifelsfrei als Arbeitsunfall zu werten ist. Im Urteil stellten die Richter klar, wann grundsätzlich Arbeitsunfälle vorliegen. Demnach muss ein Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Unfalls eine versicherte Tätigkeit ausführen. Diese Bedingung sahen sie im vorliegenden Fall als erfüllt an. Denn das Wegbringen der Kaffeetassen sowie das Holen der Unterlagen sei auf Anweisung des Chefs geschehen. Deshalb werteten die Richter beides der versicherten Tätigkeit zu. Folglich liege auch die Ursache für den Sturz des Mannes in der versicherten Verrichtung. Daher spiele es keine Rolle, dass sich der Mitarbeiter die Hand an der von ihm zuvor benutzen Tasse geschnitten hat, so das Urteil. (Landessozialgericht NRW, Urteil vom 18. Oktober 2017, Az. L 10 U 453/17)

Schlägerei unter Kollegen – gesetzlich versichert?

Kollegen geraten auf der Fahrt von der Arbeit nach Hause in einen heftigen Streit. Schließlich prügelt ein Kollege auf den anderen ein. Der Verletzte fordert, den Vorfall als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Der Fall: Nach Ende des Arbeitstages treten drei Männer gemeinsam den Heimweg in einem Firmenwagen an. Während der Fahrt kommt es zum Streit. Denn der Fahrer besteht darauf, dass die Fenster wegen des Fahrtwindes geschlossen bleiben. Einer der beiden Mitfahrer beharrt hingegen – wegen angeblichen Schweißgeruchs im Innenraum – auf Frischluftzufuhr. Vor der Haustür des Mannes eskaliert der Streit schließlich. Er schlägt den Fahrer mit der Faust zu Boden. Anschließend tritt er ihn in den Kopfbereich. Folge: eine Schädelprellung. In einem Strafverfahren wird der Mann deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Fahrer verlangt von der gesetzlichen Unfallversicherung zudem, dass der Fall als Arbeitsunfall gewertet wird. Doch die lehnt ab, denn sie erachtet die Prügelei als rein private Auseinandersetzung. Der geschädigte Arbeitnehmer ist anderer Meinung und reicht Klage ein.

Das Urteil: Die Entscheidung der Unfallversicherung ist rechtswidrig, entschied das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Es wertete die erlittene Körperverletzung als Arbeitsunfall. Denn nachdem der Fahrer seine Arbeitskollegen zu Hause abgeliefert hatte, befand er sich auf dem Heimweg. Und die Heimfahrt von der Arbeit steht unter dem Schutz der Wegeunfallversicherung. Schließlich werde dieser Weg grundsätzlich nicht aus privatem Interesse zurückgelegt, so die Richter. Vielmehr steht er immer im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. November 2017, Az. L 1 U 1277/17)

Sturz in der Pause – wer zahlt für die Folgen?

Ein Spaziergang in der Pause hatte für einen Arbeitnehmer schwere Folgen: Er stürzte und verletzte sich an Handgelenken und Knien. Die Berufsgenossenschaft weigerte sich, dies als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Der Fall: Ein Angestellter hatte während einer Pause das Firmengebäude verlassen, um den Kopf für neue Aufgaben frei zu bekommen. Dabei stolperte er im Eingangsbereich des Gebäudes über eine vorstehende Bodenplatte und verletzte sich an Handgelenken und Knien. Die Berufsgenossenschaft lehnte eine Anerkennung als Arbeitsunfall ab. Der Mann klagte.

Das Urteil: Das Hessische Landessozialgericht entschied im Sinne der Berufsgenossenschaft. Es habe sich bei dem Spaziergang nicht um eine betriebsdienliche Tätigkeit gehandelt, die im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe. Spazierengehen sei eine „privatnützige Verrichtung“, vergleichbar mit Essen, Trinken, Joggen und Fernsehen, urteilte das Gericht. Der Versicherte sei auch keiner besonderen betrieblichen Belastung ausgesetzt gewesen, die ausnahmsweise einen Versicherungsschutz begründen könne. Unerheblich sei auch, dass der Unfall direkt am Gebäude des Arbeitgebers geschehen sei, so das Gericht. Denn einen sogenannten Betriebsbann, nachdem alle Unfälle innerhalb einer Arbeitsstätte als Betriebsunfälle gelten, gebe es nur in der See- und Binnenschifffahrt.

Verletzt beim Bowling – Arbeitsunfall?

Ein Partnerunternehmen lädt zur Fortbildung, dazu gehört ein geselliger Abend auf der Bowling-Bahn. Einer der Eingeladenen stürzt und renkt sich die Schulter aus.

Der Fall: Ein Angestellter nahm an einer mehrtägigen Veranstaltung teil, die ein Partnerunterunternehmen seines Arbeitgebers ausgerichtet hatte. Zum Veranstaltungsprogramm gehörte auch ein Bowling-Turnier zwischen sämtlichen Teilnehmern. Der Kläger rutschte dabei auf der Bowlingbahn aus und renkte sich seine Schulter aus. Die zuständige Berufsgenossenschaft wollte den Sturz daraufhin nicht als Arbeitsunfall anerkennen. Die Begründung: Der Kläger habe sich beim Bowlen privaten Belangen gewidmet.

Das Urteil: Das Sozialgericht Aachen stellte hingegen fest, dass es sich um einen Arbeitsunfall handelt. Maßgeblich hierfür sei, dass der Arbeitgeber dem Kläger eine Teilnahme an der Fortbildung vorgeschrieben hatte und das Bowling-Turnier ein fester Programmpunkt der Veranstaltung war. Zweck der Veranstaltung sei der Austausch mit Mitarbeitern des Partnerunternehmens gewesen. Deshalb habe der Kläger mit der Teilnahme am Bowling-Turnier eine Nebenpflicht aus seinem Arbeitsverhältnis erfüllt. Das Bowling-Turnier habe zwar auch persönlichen Belangen des Klägers wie der sportlichen Betätigung gedient. Das ändere aber nichts daran, dass der betriebliche Zweck im Vordergrund gestanden habe. (Astrid Funck / Denny Gille / Anna-Maja Leupold / Katharina Wolf)

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