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Duschszenen am Werkstor

Anders als in der berühmten Duschszene aus Hitchcocks Thriller „Psycho“ spielt in dieser Reportage keine junge Frau die Hauptrolle. Als Protagonisten, die sich beim Verlassen von Steinbrüchen, Kieswerken oder Deponien einem erfrischenden Wellnessbad hingeben, treten Lkw, Muldenkipper, Radlader und andere Baumaschinen auf. Wir haben uns einige Reifenwaschanlagen rund um München angesehen.

Der Krimi ist vorbei - zumindest bei der Firma Ganser Entsorgung, die die Bauschuttdeponie Dürrnhaar München Süd-Ost betreibt. Seit Inbetriebnahme einer Reifenwaschanlage vor fünf Jahren spielen sich so gut wie keine dramatischen Szenen mehr ab. Die gab es in der Vergangenheit öfter: Beschwerden von Anwohnern über verschmutzte Straßen, über Staub und Dreck, die die Lkw beim Verlassen des Betriebsgeländes mit sich zogen. „Es ist angenehm ruhig geworden“, erzählt uns der Mann an der Waage. Keine nervenaufreiben Beschwichtigungsversuche aufgeregter Anrufer mehr und auch die Kehrmaschine steht still. „Das Kehren hat uns viel Arbeit bereitet“, erklärt er. Heute bleibt der Mann an der Waage einfach sitzen, während die Lkw, die hier Bodenaushub oder Bauschutt abgeladen haben, im Schritttempo die 9,39 m lange Reifenwaschanlage durchfahren. Etwa 80 Mal am Tag heißt es: Wasser marsch. Drei Mal drehen sich die Lkw-Räder und werden umspült vom kühlen Nass, geduscht wird von den Seiten und von unten. Im Boden befindliche Winkelprofile öffnen und schließen die Reifenprofile, diese  zusätzliche Massage verstärkt den Reinigungseffekt zusätzlich. Ein „Shampoo“ ist nicht nötig. Der Wasserdruck allein reicht, um dem Schmutz, der hier immer wieder für Ärger gesorgt hat, den Garaus zu machen. Und niemand muss dafür die Messer wetzen... Wenn´s zum TÜV geht, fährt so mancher Lkw-Fahrer gerne eine Extra-Runde durch die Waschstraße. Bei Ganser nimmt man das gelassen: „Das ist uns lieber, als wenn jemand die Anlage umfährt.“ Denn auch diese Fahrer, wenn auch selten, gibt es: Keine Zeit für eine Minute Duschvergnügen.

Hersteller der Anlage in Dürrnhaar, einer MobyDick Quick 939, ist die Firma Frutiger Company AG mit Sitz in Winterthur in der Schweiz. Im deutschsprachigen Raum ist das Unternehmen mit 80 % Marktanteil führender Hersteller von Reifenwaschanlagen. Viele in dieser Branche kennen ihn, den kleinen blauen Wal, der sowohl als Logo als auch als Markenname Moby Dick für die rund 20 verschiedenen Grundmodelle fungiert, die das Unternehmen europaweit vermarktet und die in Steinbrüchen, Kieswerken, auf Deponien und Baustellen für saubere Reifen und damit auch für saubere Straßen sorgen. Die kleine Tochter von Firmenchef Urs Frutiger initiierte beim  Planschen mit einem kleinen Plastikwal die Idee, den prustenden Meeressäuger, der es ob seiner Größe ja durchaus mit einem Lkw aufnehmen kann, als Vermarktungssymbol für Reifenwaschanlagen zu verwenden.

Im nebenstehenden Absetzbecken setzen sich Schmutzpartikel mit Hilfe von Flockungsmitteln ab.

Im nebenstehenden Absetzbecken setzen sich Schmutzpartikel mit Hilfe von Flockungsmitteln ab.

Foto: Foto: Ute Mhle

Seit über 25 Jahren beschäftigt sich Frutiger mit der Entwicklung von Reifenwaschanlagen. Die Anlage von Ganser ist eine von 3 300 weltweit installierten Waschtraßen. Beim Zuschauen sieht alles ganz einfach aus: Sobald sich ein Lkw der Anlage nähert, startet ein Fahrzeugerfassungs-Sensor den Waschgang. Sechs Schmutzwasser-Tauchmotorpumpen springen zeitversetzt an und bauen den Düsendruck komplett auf, bevor der Lkw die Waschstraße erreicht hat. Beim Durchfahren spült das Wasser die Feststoffe ab, das Schmutzwasser läuft über Kanäle in ein separates Absetzbecken. Die Firma Ganser hat sich ein 300 m³ großes Betonbecken gebaut, viele Recyclingbehälter bestehen aber auch aus Stahl. Sobald das Wasser zur Ruhe kommt, setzen sich die Schmutzpartikel ab, das Klarwasser läuft über eine Überlaufwand mit Siebeinsatz zurück in die Pumpenvorlage und wird für den nächsten Waschgang wiederverwendet. Bei hochfrequentierten Anlagen, bei denen das Wasser kaum zur Ruhe kommt, unterstützen Flockungshilfsmittel den Absetzvorgang. Die umweltfreundliche Kreislaufführung ist also auch bei Anlagen mit 200  und mehr Wäschen am Tag möglich. „­­Der Wasserverbrauch ist verschwindend gering“, erklärt Udo Scherer, Verkaufsleiter Reifenwaschanlagen bei Frutiger, „ein Lkw verschleppt etwa 10 Liter pro Achse, ein Fünfachser also ganze fünf Eimer voll pro Waschgang.“ Der triefende Lkw erfüllt dabei noch einen guten Zweck: Das Benässen des Außengeländes bindet umherliegenden Staub. Das verschleppte Wasser wird über ein mechanisches Schwimmersystem in das Absetzbecken nachgefüllt, vielerorts wird Flusswasser, aufbereitetes Sickerwasser, Brunnenwasser oder auch Trinkwasser verwendet. Die Länge der Anlage richtet sich nach dem gewünschten Reinigungsgrad, es gilt die einfache Faustformel „je länger, umso gründlicher“. Frutiger bemisst die Anlagen nach Radumdrehungen, die kleinste Anlage ist 6,67 m lang für zwei Lkw-Radumdrehungen mit leicht anhaftenden Verschmutzungen. In Betrieben, wo bindige, also schwer zu lösende Materialien vorkommen, sollten längere Anlagen mit drei und mehr Radumdrehungen gewählt werden. Dass sämtliche Moby Dick-Anlagen krumme Längenmaße besitzen, hat einen guten  Grund. „Würde man ein gerades Maß wählen, dann verschenkt man unnötig Material und Energie“, erklärt Udo Scherer. Das leuchtet ein, denn welchen Vorteil soll ein Reifen bringen, von dem nur ein Bruchteil nochmal gewaschen wird?

Nicht nur beim Längenmaß zeigt sich, dass der Hersteller in den letzten 25 Jahren viel nachgedacht hat und zwar bei jedem Detail. Die Anlagen sind grundsätzlich modular aufgebaut, d.h. frontal betrachtet gibt es keinen starren Rahmen, sondern zwei parallel angeordnete einzelne Fahrmodule. „Durch die so deutlich verringerte Spannweite im Vergleich zu starr-rahmigen Waschstraßen können unsere Anlagen die dynamischen Belastungen durch die Lkw viel besser verkraften“, erläutert Scherer. Die Langlebigkeit wird durch die komplett feuerverzinkte Ausführung aller Moby Dick-Anlagen noch zusätzlich erhöht, die sich auch hinsichtlich ihrer Wartungsfreundlichkeit sehen lassen können. Scherer: „Unsere Anlagen laufen im Grunde laufen vollkommen autark, ab und an muss man das Recyclingbecken reinigen, weil sich ja am Beckengrund die abgewaschenen Feststoffe aufkonzentrieren.“ In vielen Betrieben erledigen Bagger oder Radlader den Abtransport des Schlammes.

Udo Scherer

Udo Scherer

Foto: Foto: Ute Mhle

Auch beim kleinsten, aber fast wichtigsten Detail einer Reifenwaschanlage, der Düse, waren Denker am Werk, die etwas von Wasserführung verstehen und sich das Motto „Viel Wasser, aber wenig, dafür gleichmäßiger Druck“ auf die Fahndungsliste geschrieben haben. Reifenwaschanlagen-Experte Scherer erklärt: „Wir verwenden eine Vielzahl an Düsen, eine Anlage mittlerer Größe ist mit durchschnittlich 300 Düsen mit einem vergleichsweise großen Durchmesser von 8 mm ausgestattet, unsere Megawaschdüsen sind sogar bis 18 mm groß.“ Warum diese Art von Großzügigkeit Sinn macht, wird klar, wenn man sich für einen kurzen Moment an den „Tatort Garten“ versetzt. Gartenschlauch zwischen Daumen und Zeigefinger hat zur Folge, dass das Wasser mit hoher Geschwindigkeit und hohem Druck herausspritzt, doch nach nur wenigen Zentimetern verteilt sich das Nass nur noch über einen feinen, drucklosen Nebel, der allenfalls den Blumen und den Kindern noch Freude macht. Der satte Gartenschlauchstrahl hingegen hat so viel Kraft, dass er es durchaus mit einem schokoladenbeschmierten Kindermund aufnehmen kann. Gleiches gilt für einen mit Ton oder Lehm verkrusteten Lkw-Reifen. „Zu kleine Düsen können außerdem schnell verblocken, wenn bei hohen Frequenzen doch mal Schmutzpartikel mitkommen. Außerdem vereisen sie schneller bei kalter Witterung“, ergänzt Scherer. Der widerstandsfreie Fluss des Waschwassers in die Anlage hinein setzt eine sorgfältige Auswahl der Pumpen voraus. Frutiger verwendet Qualitäts-Tauchmotorpumpen, die so ausgelegt sind, dass sie die entsprechend hohen Fördermengen bewältigen können. Alle wasserführenden Leitungen laufen komplett leer, sodass im Winter die Rohrleitungen gar nicht erst zufrieren können.

Alle Spuren beseitigt.

Alle Spuren beseitigt.

Foto: Foto: Ute Mhle

Udo Scherer begleitet im Jahr etwa 50 Inbetriebnahmen von Moby Dick-Anlagen. 20 Grundmodelle hat der Schweizer Hersteller im Programm, doch in den meisten Fällen geht  nicht die Anlage „von der Stange“ über den Ladentisch. Sind Sonderlösungen mit Überbreiten, Ladegutbefeuchtung, Ölabscheider, Flockungsmittelcontainer oder gar eine Baumaschinenwaschanlage für Kettenfahrzeuge gefragt, ist man bei Frutiger gut aufgehoben. Auf der Deponie München Nord – eine weitere Station unserer kleinen Rundreise – ist eine solche Spezialanfertigung im Einsatz. Betreiber der Deponie ist die Firma Hagn Umwelt. Als Grundmodell wurde die Moby Dick Quick 939 Durchfahranlage gewählt.  Beeindruckend allein schon die  Größe: Die lichte Durchfahrbreite beträgt 3,80 m, sodass auch die innerbetrieblichen Muldenkipper und Radlader die Waschstraße durchfahren können. Sechs Pumpen mit einer Leistung von 10 800 l/min fördern das Wasser über einen doppelten Düsenbalken mit 420 Düsen in die Anlage. Hier sind Megawaschdüsen mit einem Durchmesser von 18 mm im Einsatz. Das Schmutzwasser fließt einem  60 m³ Recyclingtank zu, der an eine Flockungsmitteldosierung angeschlossen ist. Vor zwei Jahren nahm Hagn Umwelt die Reifenwaschanlage in Betrieb. Nicht nur mit der Waschleistung und der Qualität ist der Betreiber zufrieden, auch die Modulbauweise hat sich bereits bezahlt gemacht. Da sich die Zuwegung auf der Deponie geändert hat, musste die gesamte Anlage um etwa 150 m versetzt werden. Gerade einmal zwei Tage haben die Umbauarbeiten gedauert. Auch der nicht ganz einfache Einbau in ein 8 %-iges Gefälle ist gelungen.

Auf der Deponie München Nord wiederholt sich das Schauspiel der Reifenwäsche zwischen 150 bis 200 Mal Tag. Wäsche für Wäsche werden alle Spuren an den Reifen gründlich beseitigt. Also doch: Fast wie bei Hitchcock. (mö.)

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