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In der Wiege der Seilbagger

Hydroseilbagger sind aus dem Bereich der rohstofffördernden und -verarbeitenden Industrie nicht mehr wegzudenken. Das gilt vor allem für Nassbaggerarbeiten (Dredging). Einer der führenden Hersteller ist Liebherr mit seinem Werk Nenzing in Österreich. Es ist das wichtigste Profitcenter im Bereich Hydroseilbagger, Raupenkrane sowie Spezialtiefbaumaschinen.

Kleine Auswahl der in Nenzing produzierten Liebherr-Maschinen.

1976 gegründet, um Schiffs- und Offshorekräne herzustellen, wandelte sich das Werk im Laufe der Zeit zum Anbieter von Umschlag- und Spezialtiefbaugeräten sowie Kranen bis 300 t Traglast. Inzwischen sind am Standort rund 1.700 Mitarbeiter beschäftigt, welche auf einer bebauten Fläche von 103.000 m² neue Entwicklungen vorantreiben. So heimste man 2012 für den Hybridantrieb „Pactronic“ auf Hydraulikbasis den österreichischen Staatspreis für Umwelt und Energietechnologie ein. Ob mit den neuen Produkten zur Digitalisierung der Baustellen von morgen ebenfalls Preise gesammelt werden, wird die Zukunft zeigen. Interessant sind diese Digitalisierungslösungen allemal.
Zum Liebherr-Fertigungsverbund von Kranen und Umschlaggeräten für Baumaschinen und maritime Anwendungen zählen neben Nenzing auch die Werke in Killarney (Irland), Sunderland (Großbritannien) sowie Rostock. Insgesamt arbeiten rund 5.000 Mitarbeiter in diesem Segment und erwirtschafteten in 2016 einen Umsatz von rund 1,3 Mrd. Euro. In der gesamten Liebherr-Gruppe sind rund 43.000 Mitarbeiter tätig, welche für einen Umsatz von über 9 Mrd. Euro sorgen.

Qualität produzieren
In Nenzing arbeiten rund 230 Entwicklungsingenieure an neuen Produkten sowie der Verbesserung der Qualität, Performance sowie Langlebigkeit der bestehenden Maschinen. Nicht zuletzt gehören verschiedene Sonderlösungen zum Produktportfolio. Stolz ist man vor allem über die große Fertigungstiefe, welche unter anderem die hohe Qualität aufrecht erhalten soll. Was man darunter versteht, ist die Tatsache, dass der 1979 weltweit erste hydraulisch angetriebene Seilbagger mit elektronischer Steuerung nach wie vor im Einsatz ist, wenn auch nur noch als sogenannter Hofkran für diverse Verladearbeiten.
Mit einem stabilen Anteil von rund 25 % an der Gesamtproduktion nehmen die Hydroseilbagger nach wie vor einen großen Stellenwert im österreichischen Werk ein. Das Produktportfolio umfasst acht Modelle mit maximalen Traglasten von 30 bis 300 t. Angetrieben werden diese in der Regel von den hauseigenen Dieselmotoren vom Motorenwerk Liebherr in Bulle / Schweiz. Diese 6- bis 12-Zylinder großen Motoren verfügen über Leistungen von 270 bis 750 kW. Alle Maschinen sind mit Doppelwinden ausgerüstet. Bis auf die kleinste Ausführung (HS 8030 HD) sind alle für den Schürfkübeleinsatz ausgelegt. Je nach Modell lassen sich Schürfkübel in den Größen von 2,5 Cuyd (1,9 m³) bis immerhin 14 Cuyd (10,8 m³) montieren. Darüber hinaus sind Zweischalengreifer von 2,5 m³ bis 25 m³ montierbar. Die drei kleineren Maschinen vom Typ HS 8040 HD bis HS 8070 HD werden meistens für den Schürfkübeleinsatz in der rohstofffördernden Industrie eingesetzt.

Eine gute Vorbereitung bei den zu schweienden Stahlblechen (rechts oben) ist die Grundvoraussetzung fr eine hochwertige Produktqualitt.Foto: Foto: Robert Ruthenberg

Der größte Hydroseilbagger, der HS 8300 HD, ist auf Wunsch mit dem selbstentwickelten Hybridantrieb „Pactronic“, des ersten hydraulischen Hy bridantriebs für Krane und Baumaschinen lieferbar. Hierbei handelt es sich um einen Hybridantrieb auf Hydraulikbasis. Ein zusätzlicher Energiespeicher, auch Akkumulator genannt, rekuperiert beim Absenken sowie Abbremsen der Last die Energie und gibt diese bei Bedarf (zum Beispiel bei Hub- und Schwenkbewegungen) wieder frei. Sowohl die Hub- als auch die Schwenkbewegungen werden bei gleichbleibender Primärleistung dadurch wesentlich erhöht. Damit lässt sich die Maschineneffizienz steigern und somit höhere Umschlagzahlen erreichen. Die Systemleistung entspricht mit 1.250 kW der eines konventionellen Antriebssystems, wobei ein Dieselmotor mit nur 725 kW (Hakenleistung: 800 kW) verwendet wird. Dank des Hybridsystems reduziert sich der Kraftstoffverbrauch des Krans erheblich. Mit diesem Pactronic-Hybridsystem lassen sich bis zu 35 % des teuren Kraftstoffes einsparen, die Umschlagleistung dabei allerdings um den selben Prozentsatz steigern. Linear mit dem Kraftstoffverbrauch werden auch die CO2 Emissionen um bis zu 35 % reduziert. Ein weiterer wichtiger Vorteil dieses Hybridsystems stellt die Lärmreduzierung dar, was von entscheidender Bedeutung für den Einsatz von solchen Maschinen ist, die in der Nähe von Wohngegenden betrieben werden müssen.

Vor allem hilft das Pactronic-Hybridsystem auch die Wartungs- und Servicekosten zu senken, denn es erspart den Einsatz von aufwändigen Doppelmotoren. Eine Amortisation innerhalb von nur 2,5 Jahren ist allein aufgrund der erheblichen Kraftstoffreduzierung problemlos möglich.
Dass auch die anderen Hydroseilbaggermodelle sehr sparsam mit dem Kraftstoff umgehen, belegt ein Projekt in Ungarn. Dort wurden zum Autobahnbau zwei Hydroseilbagger vom Typ HS 8070 HD zum Fördern von Kies eingesetzt. Pro Tag galt es rund 16.000 t Sand und Kies aus einer Tiefe von bis zu
12 m zu fördern. Dies ergab eine Umschlagleistung von rund 330 t pro Stunde für jeden der beiden Hydroseilbagger. Nach Auswertung der Verbrauchsdaten stellte der Betreiber erfreut fest, dass der Dieselverbrauch lediglich 24 bis 26 Liter in der Stunde betrug. Gerade der geringe Spritverbrauch stellte für diesen Kiesabbau ein ausschlaggebendes Kriterium dar. „Bei einem Kiesumschlag von rund 330 t/h benötigt er bis zu 30 Prozent weniger Dieselkraftstoff als vergleichbare Modelle am Markt“, stellte der technische Geschäftsführer erfreut fest. Daraufhin wurde der Fuhrpark des Betreibers mit vier zusätzlichen Seilbaggern, u.a. drei vom Typ HS 8070 HD ergänzt.

Qualitt ? einschlielich Warmtests ? wird regelmig an verschiedenen Einzelpltzen kontrolliert.Foto: Foto: Robert Ruthenberg

Kraftstoffkosten drastisch senken
Ein weiterer Entwicklungsschwerpunkt der Nenzinger-Ingenieure stellt die Optimierung der Hydraulik dar. Wie Wissenschaftler der RWTH Aachen Anfang 2016 mit ihrem Projekt Steam (Steigerung der Energieeffizienz in der Arbeitshydraulik mobiler Maschinen) belegt haben, lässt sich allein durch eine Optimierung der Hydraulik eine Verbrauchsreduktion von immerhin 40 % vornehmen. Damit lassen sich kleinere Dieselmotoren, die zudem im optimalen Drehzahlbereich arbeiten, in selbst größeren Baggern und Kranen einbauen. Dieses Downsizing stellt einen erheblichen Entwicklungsschritt auch bei den Hydroseilbaggern dar. Weiteres Einsparpotential gibt es durch Start-Stopp-Automatiken, Leerlauf-Drehzahlabsenkungen, Eco-Silent-Mode und andere Kniffe mehr. Immerhin beträgt der Leerlaufanteil allein bei den Hydroseilbaggern bis zu
50 % der Gesamteinsatzzeit.
Viel Entwicklungsarbeit wird auch beim Thema Komfort geleistet. So gibt es inzwischen Assistenzsysteme für das Nassbaggern, wo die Abbautiefe vorgegeben und automatisch überwacht wird. Weitere innovative Dredgingfunktionen betreffen den horizontalen Schließweg, die Schlappseilabschaltung, eine automatische Höhenkorrektur, Zyklenzähler, Greiferpositionsanzeige und vieles andere mehr.

Das Herz des von Liebherr selbstentwickelten Pactronic-Hybridantriebs stellen die beiden Hydraulik-Druckspeicherzylinder unterhalb der Maschine dar (Pfeil).Foto: Foto: Robert Ruthenberg

Digitalisierungslösungen für die Zukunft
Ein weiterer Entwicklungsschwerpunkt sind Instrumente zur Planung der für einen Baustelleneinsatz am besten geeigneten Geräte sowie die Erfassung und Dokumentation wichtiger Maschinendaten. Ein Beispiel stellt dabei der Kraneinsatzplaner Crane Planner 2.0 dar. Hierbei werden reale Daten zur Ermittlung der idealen Daten beim jeweiligen Hebeeinsatz zu Grunde gelegt. Ziel ist es, jederzeit ein Optimum beim betreffenden Anwendungsfall zu erreichen. Mit Lisim stehen zudem hochentwickelte Simulatoren zur Verfügung, welche die jeweiligen Maschinenführer bestens auszubilden helfen. Geräte und Werkzeuge auf den jeweiligen Baustellen stets im Blick zu haben, ist mit dem Positioniersystem Lipos möglich und mit Lidat lassen sich die jeweiligen Daten zu einem übergeordneten Datenverarbeitungssystem übertragen, um dort exaktere und bessere Einsatzpläne erstellen zu können. Hierbei helfen die Prozessdatenverarbeitungssysteme PDE sowie PDR2 zur Analyse und Optimierung. Selbstverständlich lohnt sich solch ein Aufwand nur bei großen Baustellen beziehungsweise Einsatzstellen und sind nicht für den „einsamen“ Bagger am nächsten Kiesbaggersee gedacht.
Dass Innovationen nicht nur im Großen stattfinden, sondern häufig vor allem im Detailbereich, zeigen die Entwicklungen im Bereich Beleuchtung (moderne LED-Arbeitsscheinwerfer sind selbst den teuren Xenon-Lampen haushoch überlegen), klappbare Laufstege und versenkte Aufstiegstreppen zwecks problemloseren Transport oder ein automatisches Ballastsystem, welches den Auf- und Abbau erheblich erleichtern soll. Die neue Fahrerkabine, welche vor gut einem halben Jahr erstmalig präsentiert wurde, soll in naher Zukunft auch für die Hydroseilbagger zur Verfügung stehen. (Robert Ruthenberg)

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