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Interview mit Margit Dietz, Geschäftsführerin der Jean Bratengeier Baugesellschaft mbH 10. Januar 2020

In kleinen Schritten zur Digitalisierung

Margit Dietz hat auf dem 2. Construction Equipment Forum Ende November in Mannheim das Grußwort gesprochen. Von der Digitalisierung in der Baubranche erhofft sie sich vor allem Kosten- und Ressourcenschonung sowie Prozessoptimierung. Voraussetzung dafür sind herstellerunabhängige und offene Schnittstellen bei Hard- und Software sowie Transparenz.

Inhaltsverzeichnis

Frau Dietz, warum besuchen Sie dieses Forum?

Dietz: Ich finde das Thema Digitalisierung spannend und kümmere mich in unserem Unternehmen darum. Jeder spricht darüber, doch kaum jemand hat eine klare Vorstellung davon, was Digitalisierung ist.

Mein Antrieb, dieses Forum zu besuchen, war es herauszufinden, welche Zusammenhänge es gibt zwischen der Digitalisierung und der Wertschöpfungskette und ob ich mit meiner Einschätzung dazu richtig liege.

Wie sieht denn Ihre Einschätzung konkret aus?

Dietz: Die Digitalisierung wird einen größeren Stellenwert in der Bauwirtschaft bekommen. Und die Veränderung, die anfangs eher zögerlich beginnt, wird sich rasant beschleunigen. Und diese Dynamik macht genau den Unterschied zur Entwicklung in den letzten 100 Jahren aus. Ein Beispiel macht es anschaulich. Wenn Sie die Systemschalung von 1912 mit der von heute vergleichen, dann erkennen Sie keine großen Techniksprünge. Beim Auto aber schon. Für mich ist das ein Beleg, dass wir in unserer Branche einen erheblichen Nachholbedarf haben und noch viele Potenziale nutzen können.

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Wie ist der Stand der Digitalisierung und BIM in Ihrem Unternehmen?

Dietz: Im kaufmännischen Bereich sind wir ganz ordentlich aufgestellt. Wir befassen uns mit BIM aber zurzeit noch sehr theoretisch, verfolgen die Entwicklungen jedoch genau. Entscheidend ist letztlich, was die öffentliche Hand unternimmt. Hessen mobil, so scheint es mir, ist noch lange nicht soweit, nach den geforderten Standards auszuschreiben. Dort ist man noch in der Phase der Begriffsbestimmung, so mein Eindruck.

Wenn politisch gewollt ist, dass öffentlich Bauprojekte nach BIM-Standard ausgeschrieben werden, dann ist das, was Hessen macht, ein Armutszeugnis.

Dietz: Das kann man durchaus so sehen. Hier auf dem Kongress klang von verschiedenen Seiten bereits an: BIM ist nicht das Allheilmittel für die Bauwirtschaft. Und ich denke, die Politik hängt an diesem Begriff, weil sie sich davon verspricht, die Großbaustellen besser in den Griff zu bekommen.

Nach meinem Verständnis erfordert BIM jedoch einen Bauherrn, der weiß was er will und der Ahnung vom Bauen und den Prozessen hat. Hinzu kommt, richtig definiertes BIM bedeutet Prozessoptimierung von Beginn des Projektes an. Das geht mit unserem Vergabemodel aber gar nicht. Außerdem: Nur weil ich die Planung jetzt digital mache, habe ich noch lange kein BIM.

Nach meiner festen Überzeugung brauchen wir zusätzlich ein anderes Mindset am Bau. Wenn ich aus Störungssachverhalten Geld generiere, was bei uns im Bau die Regel ist, weil die Verträge nicht geschlossen sind und der Auftraggeber ein einseitiges Änderungsrecht hat, dann zeigt sich die grundsätzlich Schieflage. Wenn wir davon wegwollen und unsere gemeinsamen Projekte optimieren möchten, dann kann das nicht ausschließlich zu Lasten der ausführenden Unternehmen gehen, die dann einfach auf einen Teil ihrer Gewinne verzichten sollen.

Wie schätzen Sie den Stand der Digitalisierung insgesamt bei den KMU im ZDB ein?

Dietz: Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben viele Firmen, die hier besonders gut unterwegs sind. In der Regel treiben hier die jungen Inhaber im Zuge der Unternehmensnachfolge die Entwicklung voran. Und auf der anderen Seite gibt es viele Unternehmer, die sagen, das ist ein Problem für die nachfolgende Generation, sie wollen sich mit diesem Thema nicht mehr beschäftigen. Das sind die beiden Extreme, und irgendwo dazwischen bewegt sich die Welt.

Das zeigt, der Unternehmer ist letztlich das Zünglein an der Waage …

Dietz: … ja, ausschließlich, denn die Digitalisierung ist Chefsache!

Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten bei der Implementierung digitaler Prozesse im Unternehmen?

Dietz: Ich sehe die größte Schwierigkeit im Prozess an sich. Denn – ich zitiere hier eine Aussage von der bauma – ein schlechter analoger Prozess ist digitalisiert immer noch schlecht. Und weiter: Die Bauwirtschaft hat seit Jahren den analogen Prozess nicht im Griff. Da ist was Wahres dran. Gestern wurde beispielsweise auf dem Forum erwähnt, dass der Straßenbau manchmal eher dem Kunsthandwerk gleicht als der seriellen Fertigung. Obwohl dies überspitzt formuliert ist, trifft es den Kern der Sache.

Wir müssen also unsere Prozesse durchdenken – und zwar über die Abläufe im Unternehmen hinaus. Das ist die künftige Herausforderung.

Das heißt, es muss was in den Köpfen der Mitarbeiter passieren?

Dietz: Zunächst muss was im Kopf der Geschäftsführung passieren. Dann erst müssen wir versuchen, die Mitarbeiter auf dem Weg dorthin mitzunehmen. Assistenzsysteme in Baumaschinen sind zwar noch nicht das, was wir unter Digitalisierung am Bau verstehen. Dennoch muss ich den Baggerfahrer an dieser Stelle behutsam abholen, um ihn nicht komplett zu irritieren. Ich darf ihm nicht das Gefühl vermitteln, dass er vorher eine schlechte Arbeit gemacht hat und nun mit digitalen Assistenten alles gut wird. Dazu gehört selbstverständlich, dass die Anwender der neuen Systeme und Methoden gründlich geschult werden.

Welche Effekte erhoffen Sie sich von der Digitalisierung?

Dietz: Auf jeden Fall ein besseres Ressourcenmanagement, damit meine ich ausdrücklich Mensch und Umwelt. Zudem wird uns die Digitalisierung in der Baubranche ermöglichen, weiterhin am Markt zu existieren, weil wir damit Fachkräftelücken teilweise kompensieren können.

Sind Ihre Mitarbeiter bereit, diesen Weg mitzugehen?

Dietz: Wenn Sie die Leute z.B. zur Einführung neuer Software befragen, werden sie nicht unbedingt ablehnend reagieren, solange sie selbst nicht unmittelbar davon betroffen sind. Trifft es sie, sieht die Sache ganz anders aus. Hier ist Fingerspitzengefühl gefordert, und man muss den Mitarbeitern auch deutlich sagen, dass neue Tools anfangs vielleicht einen Mehraufwand bedeuten, später aber deutliche Vorteile zeigen.

Wie steht es um die Qualifizierung Ihrer Mitarbeiter?

Dietz: Unsere Mitarbeiter sind, was ihre Kernkompetenzen angeht, sehr qualifiziert. Bei der Digitalisierungskompetenz stehen wir jedoch noch am Anfang. Und diese beiden Dinge müssen wir zusammenbringen. Die Crux liegt darin, dass wir digital planen sollen, um dann manuell zu bauen. Die Schnittstellenproblematik hat bisher noch keiner gelöst.

Welche gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen müssen aus Ihrer Sicht optimiert werden?

Dietz: Das Hauptproblem bei uns ist, dass alles billig sein muss. Tariferhöhungen und ökologische Anforderungen an das Bauen fließen in die Preisgestaltung nicht ein. Sie müssen der Billigste sein, um einen Auftrag zu bekommen. Wenn aber der Billigste immer der Wirtschaftlichste sein soll, dann habe ich ein Problem. Der Sache müssen wir uns stellen, oder wir müssen die Einspruchsmöglichkeiten im Vergaberecht ändern.

Die Politik muss also bei ihren steigenden Ansprüchen bereit sein, den Mehrpreis dafür auch zu bezahlen. Das ist für mich der Anfang von allem, und das Bewusstsein dafür muss auch auf die Gesellschaft durchschlagen.

Ich möchte abschließend noch einmal den Bogen zurück zu dieser Veranstaltung schlagen: Machen Sie sich mit neuen Erkenntnissen auf den Heimweg?

Dietz: Ja, ich habe durchaus neue Erkenntnisse gewonnen. Das Thema der offenen Schnittstellen scheint bei den Herstellern angekommen zu sein.

Und eine zweite Sache ist mir wichtig: Hier auf dem Forum wurde der ganz große Digitalisierungsbogen geschlagen. Die Realität in den Unternehmen sieht jedoch ganz anders aus. Was ich aus den verschiedenen Beiträgen des Forums mitnehme ist, umzusetzen, was jetzt schon möglich ist. Gern auch mit der Unterstützung, wie sie hier von den Startups in überzeugender Weise gezeigt wurde.

Also, ich definiere jetzt meinen Weg in die digitale Zukunft der Firma. Das sind zunächst kleinere Schritte als sie das Internet of Things ermöglicht, aber damit fange ich jetzt an.

Zur Person

Dipl.-Vwt. Margit Dietz, Jahrgang 1958, ist seit 2009 kaufmännische Geschäftsführerin der Jean Bratengeier Baugesellschaft mbH. Das Unternehmen ist schwerpunktmäßig im Straßen- und Tiefbau aktiv und beschäftigt rund 180 Mitarbeiter. Dietz ist Sprecherin der Initiative Frauen am Bau im ZDB. Darüber hinaus bekleidet sie weitere Ehrenämter, u.a. als Vorsitzende der Fachkommission Mittelstand im Wirtschaftsrat Hessens und als Vorsitzende des hessischen Landesverbands deutscher Unternehmerinnen.

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