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Archiv 15. März 2013

Vom Blitz getroffen

Mittels „elektrodynamischer Fragmentierung“ lassen sich Verbundmaterialien, so auch Altbeton, sauber in ihre Bestandteile zerlegen. Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) hat das Verfahren soweit weiterentwickelt, dass es bereits in der Mining-Industrie angewendet wird. SUSA stellt Ihnen den „Blitzer“ vor.

Still ist es auf der Baustelle. Endlich soll die stark verfallene Ruine des Flughafens BER einem Neubau weichen. Der Berliner Bürgermeister drückt von der Kommandozentrale aus auf den Startknopf.

Ob es wohl klappt? Ein neuer Flughafen komplett aus dem Bauschutt des alten Gebäudes gebaut? Dann geht alles sehr schnell: Ein überdimensional großes Fallgewicht kracht auf die Ruine hernieder. Glassplitter, Betonbrocken, Stahl-, Holz und Kunststoffteile wirbeln durcheinander. Nachdem sich die Staubwolke gelegt hat, öffnet der Blitzer sein Maul und schluckt das Gemisch herunter. Klopfgeräusche, wie von zerplatzendem Popcorn, nur etwas lauter, hallendurch die Stille. Sekunden später spuckt die Maschine Kies, Sand, Zement, Metall und Holz feinsäuberlich getrennt wieder aus. Kleine mobile Beton- und Asphaltmischer, Glasereien und Mini-Stahlwerke mixen aus den Rohstoffen neue Bauteile.
Mit Robotertechnik erhebt sich der Flughafen in Windeseile wie der Phoenix aus dem Bauschutt – dieses Mal können hier sogar Flugzeuge landen und starten.

Sie ahnen es schon: dies ist ein Zukunfts-Szenario. Die Aufbereitungstechnik aber stammt aus der Gegenwart.

„Blitzer“ – so nennt man am Fraunhofer- Institut für Bauphysik (IBP) die Labormaschine, die heute schon Verbundstoffe, wie Beton, Elektroschrott oder Müllverbrennungsschlacke sauber in ihre Bestandteile zerlegen kann. Ihr korrekter Name lautet: „High Voltage Pulse Power Fragmentation“, was so viel bedeutet wie: Maschine zur elektrodynamischen Fragmentierung von Verbundstoffen.

„Blitzer“ soll kein Markenbegriff werden, „weil man damit Verkehrssünden verbindet“, betont Christof Karlstetter, dessen Gruppe „Betontechnologie und funktionale Baustoffe“ am IBP maßgeblich an dieser Technik geforscht hat. Dabei wäre der Spitzname gar nicht so schlecht, denn er spiegelt sehr anschaulich das technische Grundprinzip des Verfahrens wider: die Feststoffe werden im wahrsten Sinne des Wortes „vom Blitz getroffen“. Damit der Blitz sein Ziel findet, muss der Festkörper in Wasser getaucht werden. „Wasser ist ein Dipol und setzt dem Blitz einen enormen Widerstand entgegen, allerdings nur in den ersten Nanosekunden“, erklärt Karlstetter. „Deshalb schlagen bei dieser Maschine ultrakurze Blitze kürzer als 500 Nanosekunden ein, die durch die Pufferwirkung des Wassers in den Feststoff abgleitet werden.“

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Was ein Blitzeinschlag in freier Natur mit einem Baum anrichtet, veranschaulicht die enormen Kräfte, die in der Maschine wirken. Das Material wird jedoch nicht blindlings zertrümmert, sondern an seinen Korngrenzen aufgespalten. Deshalb ist die äußerst saubere Auftrennung von Verbundstoffen in ihre Ursprungsbestandteile möglich. „Im Gegensatz zur Druckzerkleinerung, z.B. mit einem Backenbrecher, bricht das Material nicht an seinen mechanischen Schwachstellen“, erläutert Karlstetter, „der Blitz verläuft entlang der Korngrenzen des Festkörpers, weil dort Nanosekunden zuvor eine Polarisation stattgefunden hat.“

Und wer hat´s erfunden? Das technische Prinzip beruht auf einer Erfindung russischer Forscher, die bei der Entwicklung neuer Atombomben-Zünder auf die Zerkleinerungswirkung von ultrakurzen Unterwasserimpulsen gestoßen sind. Zunächst nahm sich das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) der friedlichen Nutzung dieser Technik an, verkaufte die Lizenz später an eine Schweizer Firma , die diese Technik zur Marktreife brachte. In Australien laufen verschiedene Maschinen im Mining- Bereich mit Aufgabegrößen des Gesteins von bis zu 1 m Durchmesser. Aufgrund der begrenzten Durchlaufleistung von bislang 1 bis 3 t/h rechnet sich eine Großanlage derzeit nur bei der Gewinnung wertvoller Rohstoffe oder überall dort, wo ein absolut sauberes Zerkleinerungsverfahren gefragt ist, z.B. im Laborbereich oder in der Glasfaserindustrie, in der selbst metallischer Abrieb vom Brechwerkzeug den Rohstoff unbrauchbar macht. Christof Karlstetter und sein Team arbeiten zusammen mit den Schweizern jedoch intensiv an Maschinen mit höheren Durchsätzen: „Wir entwickeln derzeit eine Großanlage mit einer Durchlaufleistung von 20 Tonnen pro Stunde.“

Das Ziel sind Aufbereitungsmengen von 100 t/h, die man mit mehreren hintereinander geschalteten Maschinen-Segmenten erreicht. In diesen Dimensionen wird es für die Baustoffindustrie interessant. Denkbar ist die Rückgewinnung der Gesteinskörnung aus Beton oder die Aufbereitung von Bauschutt, dessen Einsatz wegen der sauberen Trennung dann auch im Hochbau denkbar wäre.

Bis es soweit ist, rechnet Karlstetter mit einem Entwicklungszeitraum von etwa zwei bis drei Jahren. Mit Industriepartnern aus dem Steine- und Erden-Bereich, die zu Praxiseinsätzen bereit wären, ließe sich die Entwicklung noch beschleunigen. Interessierte sind dem IBP sehr willkommen.

Ohne Frage: Ein Blitzer ist ein Stromfresser, allerdings ist sein Energiebedarf in einer ultrakurzen Zeit gedeckt. Mit 180 kV wird der Feststoff 500 Nanosekunden lang beschossen, die Maschine läuft mit einem gängigen Starkstromanschluss. „Der Energiebedarf unserer Laboranlage ist derzeit etwa doppelt so hoch wie der eines Backenbrechers“, berichtet Karlstetter. Dieses Resultat verdient Respekt, denn schließlich befindet sich das Gerät noch in der Entwicklung. Auch vor dem Hintergrund der sauberen Trennleistung werden mögliche Betreiber den höheren Energiebedarf in Kauf nehmen, vermutet der Forschungsgruppenleiter.
Als vorteilhaft könnten sich auch der vergleichsweise geringe Geräuschpegel, der einem Klopfen in akzeptabler Lautstärke gleichkommt, und die fehlende Staubentwicklung gegenüber der mechanischen Zerkleinerung erweisen.

Die Wertschöpfung kann sich nach Berechnungen des IBP heute schon sehen lassen:
Die Alt-Betonaufbereitung mit diesem Verfahren werden auf ca. 4 bis 6 Euro pro Tonne geschätzt, hier sind sämtliche Investitions- und Betriebskosten eingerechnet. Da das Material Primärrohstoffqualität annimmt und im Beton wieder einsetzbar ist, könnte es zu einem gängigen Marktpreis für Betonzuschlag von derzeit 10 bis 18 Euro pro Tonne verkauft werden.

„Das Verfahren eröffnet zahlreiche Chancen für die Zukunft“, ist sich Karlstetter sicher. Da sich auch bei Kunststoffe und Metallen sehr gute Trennergebnisse gezeigt haben, ließe sich der Schatz, der in deponierten Handys schlummert, bergen und so ein Stück Unabhängigkeit vom politisch schwierigen Markt der Seltenen Erden erreichen.

Auch Herr Platzeck sollte den Blitzer im Auge behalten - vielleicht kann er ihn einmal zur Beseitigung von Problem-Flughäfen gebrauchen. (Ute Möhle)

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