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Archiv 2. Januar 2019

Mitten ins Herz

Eine ganze Woche lang legte die Familie Kiesel einen Eröffnungsmarathon hin. Die Geburt des Coreums in Stockstadt, das zum Herzen der Baumaschinenwelt heranwachsen soll, will gebührend gefeiert werden. An jenem Freitag, dem 26. Oktober, war der letzte Tag dieser sportlichen Hochleistungswoche angebrochen. Trotz der 500 Gäste vor der Brust eröffnen Tochter, Vater und Großvater den Tag mit einem Interview und verraten, wie sie ihr Herz an Baumaschinen verloren haben.

Drei Generationen an einem Tisch: Toni, Kathrin und Helmut Kiesel (v.l.)
Drei Generationen an einem Tisch: Toni, Kathrin und Helmut Kiesel (v.l.)

Frau Kiesel, wie oft sitzen Sie als Coreum-Geschäftsführerin auf einer Baumaschine?
Kathrin Kiesel: Nicht mehr oft. Leider.
Toni Kiesel: Die ersten Bilder von Kathrin gibt es mit anderthalb Jahren auf einer Baumaschine. Sie ist der deutlich bessere Maschinist als ich, hat einfach mehr Gefühl.

Sie wollten also von Kindesbeinen an in die Baubranche?
Kathrin Kiesel: Ja, für mich war das schon immer klar. Ich bin auf dem Firmengelände in Baienfurt aufgewachsen, wandelte schon als Kind immer zwischen Büro, Werkstatt und Lackiererei hin und her. Irgendwo in der Beratung oder in der Bank zu arbeiten, das wäre nichts für mich. Ich mag das Echte an der Baubranche und den guten menschlichen Umgang untereinander.

Herr Kiesel, Sie haben das Fundament der Firma Kiesel und damit auch des Coreums gelegt. Wie kam es dazu?
Helmut Kiesel: Ich bin in Unterfranken aufgewachsen und fing in den Fünfzigerjahren bei der Firma Fuchs als Monteur an. Auf Montage lernte ich ganz Deutschland kennen, aber am Bodensee hat es mir am besten gefallen. Da habe mir damals geschworen, wenn ich mich irgendwo niederlasse, dann im Süden.

Bei schlechtem Wetter knnen Maschinen im sogenannten ?Sandkasten? ausprobiert werden.Foto: Foto: Ute Schroeter

Für Lovestorys bleibt im Interview keine Zeit, wohl aber bei der anschließenden Eröffnungsrede. 1.000 Ohren lauschen der filmreifen Liebesgeschichte des Ehepaars Helmut und Christa Kiesel, die sich 1956 bei der Reparatur eines Seilbaggers in einem Fuhrbetrieb am Bodensee kennen lernen. Nach zähem Ringen mit dem damaligen Geschäftsführer Otto Fuchs bekommt Helmut Kiesel die Erlaubnis, eine Fuchs-Service-Station in Oberschwaben zu eröffnen. Er mietet ein ehemaliges landwirtschaftliches Anwesen in Weingarten und erkämpft sich einen Kredit für das Startkapital. Zur damaligen Zeit ist es unmöglich, als Unverheirateter eine Firma zu gründen. Also erbittet Helmut Kiesel die Erlaubnis seiner künftigen Schwiegermutter, seine Christa am 17. Oktober 1958 zum Standesamt führen zu dürfen. Die Firma Kiesel wird offiziell am 26. Oktober 1958 eingetragen. 60 Jahre später applaudieren 1.000 Hände tosend zur Diamantenen Hochzeit und zu 60 Jahre Kiesel.

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Woran erinnern Sie sich besonders gern?
Helmut Kiesel: An die Sache mit Deutz, die haben noch Anfang der Siebziger Jahre Planier- und Lade-
raupen gebaut, diesen Sektor aber 1973 aufgegeben. Als das auf der Baumaschinenmesse in München bekannt gegeben wurde, habe ich spontan 120 Deutz-Raupen gekauft. Diese Entscheidung habe ich ganz allein getroffen, wen sollte ich auch fragen? Die haben mich alle für verrückt erklärt. Aber im Nachhinein war das der beste Schachzug meines Lebens.

Heute blicken Sie auf ein mehr als 1.000 mitarbeiter-starkes Unternehmen. Könnten Sie sich nicht eigentlich zur Ruhe setzen?
Helmut Kiesel: Nein, ich bin immer noch jeden Tag an der Front. Entweder man macht es gerne oder man lässt es bleiben. Ich bin sehr stolz auf meine Enkelin, natürlich auch auf meine Söhne.
Toni Kiesel: Ich empfinde es jeden Morgen als ein großes Geschenk, etwas zu bewegen. Es macht Spaß, Werte zu schaffen und ein Dienstleistungsunternehmen aufzubauen.
Kathrin Kiesel: Bei mir ist es genau das Gleiche. Für mich ist die Arbeit hier keine Arbeit. Es macht einfach Spaß und ich freue mich, etwas zu schaffen und zuzusehen, wie die Firma wächst.

Gibt es auch etwas, über das Sie sich ärgern?
Toni Kiesel: Mich regt die allgemeine Lethargie auf, dass oft nur geredet und nichts bewegt wird. Nehmen Sie nur das Beispiel Digitalisierung oder E-Mobilität. Sie können keinen Kubikmeter Erde digital bewegen, aber es wird so getan, als löse die Digitalisierung alle Probleme. Dabei ist es nichts weiter als ein Hilfsmittel, um schneller arbeiten zu können. Und solange die Politik, die Stadt oder der Bauträger nicht in der Lage ist, eine elektrische Baustellenversorgung bereitzustellen, brauchen wir auch gar nicht über E-Mobilität zu reden. Mich ärgert auch, dass Menschen, die einen guten Job machen, nicht solide davon leben können. Es muss doch in einem Land wie Deutschland möglich sein, dass Arbeit ein lebenswertes Dasein ermöglicht, ohne dass man sich jeden Tag sorgen muss, ob das Geld reicht.

Wann und warum haben Sie sich dazu entschlossen, das Coreum zu bauen?
Kathrin Kiesel: Die ursprüngliche Idee stammt von meinem Vater und ist ungefähr zehn Jahre alt. Wir wollten unseren technischen Mitarbeitern eine Heimat geben, um sich aus- und weiterbilden zu können. 2004 haben wir angefangen, ein technisches Kompetenzzentrum aufzubauen. Daraus entwickelte sich die Idee, einen Ort zu schaffen, an dem wir „Kiesel - mein System-Partner“ mit all seinen Produkten erklären können. Auf einer Messe ist das immer relativ schwierig, weil die Kunden wenig Zeit haben.
Toni Kiesel: Irgendwann waren wir dann soweit, das Kompetenzzentrum, das wir bisher nur für uns selbst genutzt haben, auch anderen Partnern aus der Baubranche zu öffnen. So entstand das Coreum – die Baumaschinenwelt, welche als Plattform verschiedenster Marken dienen soll, unabhängig von Kiesel.

Wie genau funktioniert das Coreum?
Toni Kiesel: Das Coreum ist ein neues Konzept in der Baubranche. Das Besondere ist, dass verschiedene Hersteller hier ein Schaufenster bekommen, um das ganze Jahr über ihre Marke präsentieren zu können. Gerade für kleinere Hersteller ist es geradezu unmöglich, eine dauerhafte Markenpräsenz zu realisieren. Diese Lücke wollen wir schließen. Auf Baumessen haben wir ja immer mit Zeitdruck zu kämpfen und können die Kunden nicht richtig beraten. Im Coreum bekommt der Kunde außer kompetenter Beratung noch die Möglichkeit, Maschinen auszuprobieren.

Das Auengelnde des Coreums bietet ausreichend Platz, um verschiedene Marken prsentieren zu knnen.Foto: Foto: Ute Schroeter

Also eine Art Dauermesse?
Toni Kiesel: Showroom trifft es besser. Unser Ziel ist es, den Kunden die Faszination Baumaschinen, egal ob im Tiefbau, Spezialtiefbau, Verkehrswegebau, Galabau, der Gewinnung, im Abbruch oder Recycling spüren zu lassen. Was man erlebt, das begreift man auch. Selbst eine Firma wie Amazon eröffnet wieder Showrooms mit dem Argument, dass Menschen Dinge begreifen und verstehen möchten. Ein weiterer wichtiger Punkt: Durch die Vielzahl unterschiedlichster Hersteller hier im Coreum findet der Kunde eine vollständige Prozesskette vor. Wer sich für Schnellwechsler interessiert, ist auch für Anbaugeräte zu begeistern und wirft vielleicht auch einen Blick auf Baustellenvermessungsgeräte. Momentan sind 30 Markenhersteller unter dem Coreum-Dach versammelt.

Kiesel bildet in diesem Jahr unternehmensweit mehr als 100 junge Menschen aus, so viele wie noch nie. Was möchten Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Kathrin Kiesel: Uns ist es wichtig, in unseren Auszubildenden die Begeisterung für den Beruf zu wecken, dass die Tätigkeit nicht als Arbeit, sondern als Berufung gesehen wird.

Gelingt Ihnen das?
Kathrin Kiesel: Unsere Auszubildenden haben im Organisationsteam der Coreums-Eröffnung mitgearbeitet und in den letzten Wochen 180 Prozent gegeben. Die haben hier von morgens bis abends mit vollem Einsatz gearbeitet und dabei eine Freude und einen Riesenspaß an der Arbeit versprüht. Über die junge Generation wird viel geschimpft, aber es gab schon immer solche und solche. Wir haben wahnsinnig tolle Mädels und Jungs am Start, die mit Begeisterung dabei sind.

Mehrere tausend Gste besuchten das Coreum whrend der Erffnungswoche.Foto: Foto: Ute Schroeter

Wünschen Sie sich mehr Frauen in der Baubranche?
Kathrin Kiesel: Frauen in Führungspositionen funktionieren nur, wenn Beruf und Familie vereinbar sind. Ich habe selbst zwei Kinder im Alter von einem und vier Jahren, kann aber meinen Arbeitstag flexibel gestalten. Tagsüber bin ich in der Firma, gehe aber nachmittags heim. Es ist mir arg wichtig, bei meinen Kindern sein zu können, wenn sie von der Kita nach Hause kommen. Mit ganz normalen Arbeitszeiten würde ich sie nicht sehen können. Abends, wenn sie im Bett sind, arbeite ich in der Regel noch ein bisschen, im Zeitalter des Internets ist das ja leicht möglich. Eine gewisse Flexibilität macht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf viel einfacher.
Helmut Kiesel: Meine Frau hat viele Jahre in unserer Firma mitgearbeitet, das Büro gemacht, im Lager die Ersatzteile rausgegeben und die Kunden beraten. Die Kunden waren immer ganz perplex, wie gut sie die Technik beherrschte und was sie sich alles merken konnte. Ja und dann hatte sie noch eine Familie zu versorgen, mich und unsere drei Söhne.
Toni Kiesel: Die Baubranche ist eine Männerbranche, Quoten bringen an der Stelle gar nichts. Aber alles was mit Mitarbeitern zu tun hat, ist heute der Schlüssel zum Erfolg eines Unternehmens. Nach meinen Erfahrungen haben speziell Frauen dafür oft ein viel besseres Händchen als Männer. Wenn ich mir die Belastung meiner Tochter oder meiner Mutter damals anschaue, kann ich nur sagen: ein Mann würde das gar nicht aushalten. Unser Unternehmen würde es ohne unsere Mutter gar nicht geben. (Interview: Ute Schroeter)

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