Neues Denken braucht die Bauwirtschaft
Über viele Jahre hat die Bauwirtschaft gute Umsätze erwirtschaftet. Die Auftragslage war höher als man bewältigen konnte. Eine im Prinzip komfortable Situation. Wie gut, wettbewerbsfähig und zukunftssichernd allerdings die Arbeitsweisen und Unternehmen aufgestellt sind, zeigt sich immer in einer Krise.
Covid 19 hat viele Unternehmen an ihre Grenzen geführt. Das ist einerseits tragisch, andererseits bietet die gegenwärtige Situation eine wunderbare Chance zum Umdenken und zum Neubeginn! Viele Unternehmen haben den Weckruf gehört. Dinge, die bisher unmöglich schienen, wurden plötzlich ganz einfach und zügig umgesetzt sowie allgemein akzeptiert. McKinsey hat ermittelt, dass 75% aller Erstanwender digitaler Lösungen (es gibt sie wirklich!) angaben, eine positive Erfahrung gemacht zu haben und weiterhin diese nutzen wollen.
Die Lehre daraus ist – dringend notwendige Veränderungen und Innovationen entstehen nur aus Lust oder Frust – nicht aber aus Vernunft oder Erkenntnisgewinn. Entweder ist der Leidensdruck sehr hoch und zwingt zum Handeln, oder aber die Freude und das Interesse an der Innovation sind der treibende Motor.
Bauwirtschaft und Baumaschinenhandel hinken hinterher
Der deutsche Baumaschinenhandel und die Bauwirtschaft hinken im internationalen Vergleich (von ein paar Ausnahmen abgesehen) in Bezug auf die Segnungen der Digitalisierung immer noch weit hinterher. Das betrifft die Bauplanung, -ausführung, das Fuhrparkmanagement und den Baumaschinenhandel gleichermaßen. Die Abläufe und Vorgehensweisen auf der Baustelle und im Baumaschinenhandel haben sich in den letzten 50 Jahren kaum verändert. Innovationen sucht man vergeblich. Dabei gibt es kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Den Rückstand aufzuholen, scheint auf dem ersten Blick nicht einfach, da man mit den knappen Ressourcen – Kapital, Personal und Zeit – umgehen muss.
Individuallösungen
Gegenwärtig versuchen die Flaggschiffe der Bau- und Baumaschinenbranche, mit eigenen kleinen Innovationseinheiten bestehende Prozesse zu digitalisieren oder digitale Tools zu entwickeln. Oft gibt es bereits eine gute Lösung auf dem Markt. Aber die ist eben nicht gut genug, weil sie nicht aus dem eigenen Haus stammt. Hinzu kommt die Furcht vor Datenmissbrauch und eventuell mangelnder Datensicherheit. Es muss die eigene Lösung sein. Auch wenn die Marktreife des eigenen Produktes schon überfällig und noch lange nicht in Sichtweite ist. In der Regel streben die Unternehmen mit ihren Tools eine Marktdominanz an. Das ist verständlich und ein Paradebeispiel bisherigen Denkens. Ob sich das allerdings umsetzen lässt, darf man bezweifeln. Diese Tools sind in der Regel nur Insellösungen. Der große, innovative Wurf sowie die Investitionskraft in die Entwicklung und Vermarktung fehlen.
Zu wenig Kapital, um Innovationen zu pushen
Hinzu kommt, dass aussichtsreiche Ideen und Konzepte in Deutschland nicht ausreichend finanziert werden. Im „Deutschen Startup Monitor“ ist zu lesen, dass 42% der Neugründungen mit Investitionssummen von 0 bis 150.000 Euro und 22% mit Summen von 150.000 bis 500.000 Euro starten müssen. In Amerika und China sind die Summen um ein Vielfaches höher und damit die Erfolgsaussicht deutlich größer.
Portale sind der Marktplatz der Zukunft
Gegenwärtig zweifele ich daran, dass jedes einzelne Unternehmen über ausreichend Ressourcen verfügt, um versäumtes aufzuholen. Schaut man sich die Innovationskraft anhand der Verteilung im Bereich der führenden Portale an, dominiert Amerika mit 60%, gefolgt von China mit 27% (stark wachsend) und Europa mit 3%. Damit darf man getrost ein Fragezeichen hinter die Zukunftsfähigkeit unsere Wirtschaft setzen. Die Portale sind der Marktplatz der Zukunft. Wer sie beherrscht, beherrscht den Markt.
Diesen Rückstand können wir nur durch eine gemeinsame Anstrengung aufholen. Sie muss schnell und kraftvoll kommen.
Allianzen und Kooperationen statt Konkurrenzdenken
Eine Lösung ist das Denken und Handeln in Allianzen und Kooperationen. Dafür braucht es ein anderes Verständnis von Wettbewerb und Konkurrenz. Ich bin davon überzeugt, dass der andere Bauunternehmer/Baumaschinenhändler zukünftig nicht mehr der Konkurrent ist, sondern, dass es amerikanische oder chinesische Tech-Unternehmen sein werden, die sich durch die kluge Anwendung von digitalen Lösungen und künstlicher Intelligenz mittels innovativer Plattformen signifikante Marktvorteile erarbeiten und die traditionell arbeitenden Unternehmen zügig verdrängen werden.
Ein starkes Signal von Katerra
Ein prominentes Beispiel ist das amerikanische Bauunternehmen Katerra. Es ist ein Hightech-Unternehmen, das seine gesamte Bauplanung, Produktion und Abwicklung digitalisiert hat und damit wirtschaftlicher und unabhängiger arbeitet als die üblichen Bauunternehmen. Die Gründer des in 2016 gegründeten Unternehmens kommen nicht aus der Bauwirtschaft, sondern von Tech-Unternehmen. Ein Jahresumsatz von über 3 Mrd. Dollar ist für ein so junges Unternehmen in einer solchen Branche ein sehr starkes Signal. Die Tatsache, dass Katerra 1,2 Mrd. Dollar an Risikokapital einsammeln konnte, ist ein weiteres deutliches Zeichen des Marktes. Und wenn ein so komplexer Prozess, wie das Bauen mehrgeschossiger Häuser, auf diese Weise nicht nur möglich, sondern auch wirtschaftlicher ist, wie einfach wird es dann sein, die Vermarktung von Baumaschinen und Geräten zu disruptieren?
Die Zukunft liegt in innovativen Plattformlösungen
Covid 19 hat den Digitalisierungsprozess in Deutschland bereits nachhaltig beschleunigt. Und das ist gut so! Die Zukunft in der Bauwirtschaft und im Baumaschinenhandel werden vor allem innovative Plattformlösungen sein, die einen signifikanten Mehrwert bieten. Die zurzeit aktiven Baumaschinen-Portale tun dies noch nicht oder nicht ausreichend. Für ein Baumaschinenportal bedeutet es vor allem Datensicherheit, Neutralität, echte Internationalität vor allem aber ergänzende Anwendungen und Systeme, die das Handeln einfach, schnell und transparent machen. Es werden komplexe Lösungen sein, die den Bedürfnissen der Hersteller genauso Rechnung tragen wie den Interessen des Handels und der Nutzer.
Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir mehr Mut und Lust am Querdenken und -handeln, mehr Innovationsfreude! Vor allem aber das Gespräch mit Entscheidern, die aus Lust handeln wollen und nicht aus Frust handeln müssen.
Michael Radwe, Vice President Partnership & Sales, Zeppelin Lab GmbH, Berlin.
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