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Archiv 11. Oktober 2012

Nichts ist so sexy wie niedrige Betriebskosten

Euro VI, alternative Antriebe und Lang-Lkw – so lauteten die Schlagworte der 64. IAA Nutzfahrzeuge, die vom 20. bis 27. Septemberunter dem Motto „Motor der Zukunft“ in Hannover stattfand.

„Diese IAA Nutzfahrzeuge ist mit mehr Weltpremieren, mehr Ausstellern, mehr Fläche und mehr Besuchern ein voller Erfolg“, zog VDA-Präsident Matthias Wissmann in der Abschluss-Pressekonferenz ein durchweg positives Fazit. Das gute Ergebnis sei unter Berücksichtigung des konjunkturellen Gegenwinds in West- und Südeuropa noch höher zu bewerten.

Die Situation der großen Nutzfahrzeug-Hersteller ist derzeit sehr unterschiedlich. Während DAF, MAN und Volvo aufgrund der Staatsschulden-Krise im Euroraum oder deutlichen Rückgängen im bisherigen Boomland Brasilien ein Minus verkraften müssen oder stagnieren, legen andere Hersteller teils deutlich zu. Die aktuellen Gewinner sind VW und vor allem Daimler. Dass es dem Branchen-Primus gelang, per August 2012 insgesamt 20 % mehr Lkw abzusetzen als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, ist mit der weltweiten Aufstellung des Konzerns begründet. Einbußen in Südeuropa oder Brasilien konnten mit Zuwächsen in Indien, Russland oder den USA weit mehr als ausgeglichen werden. Doch auch die aktuellen Verlierer kamen nichtmit gesenktem Haupt zur Leistungsschau nach Hannover. Die allgemein gute Stimmung beruht auf den mittelfristigen Prognosen für die Branche. So attestieren etwa die Unternehmensberater von McKinsey dem  Weltmarkt für schwere Lkw bis 2020 starke Zuwächse. Der Umsatz soll sich laut der aktuellen Studie  innerhalb von acht Jahren von derzeit rund 125 Mrd. Euro auf 190 Mrd. Euro erhöhen. Der  inflationsbereinigte Gesamtgewinn der Hersteller werde von 7,2 Mrd.Euro auf 10,5 Mrd. Euro steigen. Außer Frage steht zudem, dass der Lkw-Verkehr auf europäischen und auch deutschen Straßen weiter zunehmen wird.

VDA-Präsident Wissmann kritisierte in seiner Eröffnungsrede das Image, das Brummis in weiten Teilen der Bevölkerung hätten. Statt an die Milch im Supermarkt dächten die meisten nur an Elefantenrennen auf der Autobahn. „Ohne Lkw wären die Straßen schön leer, Ihr Kühlschrank aber auch, denn Milch hat keine Räder“ sagte Wissmann, der mit seinen starken Formulierungen viel Beifall erntete.Mobilität sei die Basis für den Wohlstand in unserer Gesellschaft.  In Bezug auf die nicht endende Diskussion über den Einsatz von Lang-Lkw appellierte der VDA-Präsident an die Politik, aus „ideologischen Gräben“ heraus zu treten und zu einer Einigung zu gelangen. Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister bedauerte den schleppenden Anlauf des Feldversuchs, an dem sieben Bundesländer teilnehmen. Er forderte die Bundesländer auf, die den Testlauf ablehnen, ihre Autobahnen als Transitstrecken zur Verfügung zu stellen. Ein Freund des Lang-Lkw ist auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Die ersten Monate des Feldversuchs seien positiv verlaufen: „Es gab bisher keinen einzigen Unfall und bisher ist nirgendwo eine Geranienrabatte in einem Kreisverkehr über den Haufen gefahren worden“, sagte Ramsauer während des Messerundgangs.

In seiner Eröffnungsrede hatte sich der Bundesverkehrsminister auch zu dervon der Automobilbranche gefordertenMaut-Vergünstigung  für Lkw mit Motoren der neuen Abgasstufe Euro VI geäußert. Die Abgasnorm, bei der der Ausstoß von Stickoxiden um bis zu 80 % und der von Rußpartikeln um 66 % gegenüber dem Euro-5-Standard zurückgehen soll, ist ab 2014 verpflichtend für alle neu zugelassenen Lkw. „Ich sage Ihnen klipp und klar, dass es meine politische Absicht ist, spätestens zum 1. Oktober 2013 eine neue Mautstruktur in Kraft treten zu lassen“, erklärte Ramsauer. Aufschluss über die Höhe der Besserstellung der Euro VI-Fahrzeuge soll  ein in Auftrag gegebenes Wegekosten-Gutachten erbringen, dessen Ergebnisse im kommenden Frühjahr erwartet werden.

Die Euro VI-Motoren standen im Mittelpunkt vieler Messe-Auftritte. MAN präsentierte die Technik bei seinen leichten und mittleren Lkw TGL und TGM als auch bei den schweren Baureihen TGS und TGX. DAF zeigte ein neues Modell der Reihe XF, Volvo stellte die FH-Reihe vor. Mit neuen Motoren waren auch Scania oder Iveco nach Hannover gekommen. Der Stralis Hi Way von Ivecvo, dessen Outfit und Kabinenmaße  sich aufgrund eines Euro VI-Systems ohne Abgasrückführung kaum geändert haben, wurde auf dem Abend der Nutzfahrzeugindustrie zum „Truck oftheyear“  gekürt. Ausschlag gebend dafür waren das  exklusive Abgassystem und die gesenkten Betriebskosten. Platz 2 belegte Mercedes Benz mit dem Antos, auf dem dritten Platz landete der Ford Otosan New Cargo.

Die gute Nachricht für Flottenbetreiber ist, dass der Dieselverbrauch gegenüber Euro V nicht, wie von vielen befürchtet, steigt.  Andreas Renschler, im Vorstand der Daimler AG verantwortlich für Trucks und Busse, berichtete dass der Euro VI-Motor des Actros sogar 5,5 % weniger Sprit verbraucht als sein Vorgänger.  Vielen Kunden sprach er sicher aus der Seele, als er sagte: „Nichts in unserer Branche ist so sexy wie niedrige Gesamtbetriebskosten“. Mit der Serienfertigung ihrer Euro VI-Modelle wollen die meisten Hersteller im kommenden Frühjahr starten, die kompletten Motoren-Programme sollen dann zum Jahresende verfügbar sein.

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Daimler-Vorstand Renschler konnte auch einen Durchbruch auf dem Hybrid-Markt vermelden: Bislang hätten die Kunden der Technologie aufgrund der Frage nach dem wirtschaftlichen Betrieb skeptisch gegenüber gestanden. Die Mehrkosten für den FusoCanter Eco Hybrid hätten die Kunden bereits nach drei bis vier Jahren wieder drin. Im Mai 2012 wurde das Modell in Japan eingeführt, dort hätten sich 5 bis 10% der Kunden für diesen Truck entschieden. „Nun ist er bereit für Europa“, so Renschler.

Den Besuchern der IAA wurden einige Beispiele bezüglich der Optimierung der klassischen Antriebe und der Entwicklung alternativer Antriebe geboten. MAN präsentierte einen aerodynamisch optimierten Sattelzug. Bei der Lkw-Studie sind der MAN Concept S und der Krone-Trailer AeroLiner passgenau zu einer stromlinien­förmigen Einheit verbunden. Das Fahrzeug bietet das Ladevolumen eines konventionellen Lkw, erreicht dabei aber einen extrem niedrigen  Luftwiderstandswert auf Pkw-Niveau. Dadurch sollen bis zu 25 % Kraftstoff und damit CO2 eingespart werden. Bereits im kommenden Jahr gebaut werden könnte der Aerodynamics Trailer, den Mercedes Benz in Zusammenarbeit mit dem Aufbauhersteller Schmitz Cargobull realisiert hat. Der Luftwiderstand eines Sattelzuges soll damit um 18 %, der Kraftstoffverbrauch um 4,5 % gesenkt werden.

Scania präsentierte erstmalig sein flexibles Euro VI-Motoren-Programm, zu dem auch zwei neue Gasmotoren zählen. Mit hohem Drehmoment und Fahrleistungen, die Dieselmotoren nicht nachstehen, sollen neue Anwendungen ermöglicht werden. Die Gasmotoren werden durch komprimiertes oder flüssiges Erd- oder Biogas angetrieben. Als eiskalte Kampfansage gegen den Dieselkraftstoff wurde Liquefied Natural Gas (LNG) präsentiert. Das auf -163 °C hinabgekühlte und verflüssigte Erdgas verspricht eine deutlich höhere Reichweite. In den USA, wo es gut 100 diesbezüglich ausgestattete Tankstellen gibt, sind LNG-Trucks seit mehr als zehn Jahren im Einsatz. In Deutschland wurde der Treibstoff jüngst in einem Iveco Stralis von der Spedition Hellmann getestet. Die Hellmann-Geschäftsleitung zeigte sich während der IAA sehr angetan von denErgebnissen des Versuchs.

Auch die Elektromobilität steht nach wie vor im Fokus. Auf dem Messe-Freigelände war ein kleiner Parcours angelegt, auf dem Interessierte eine Runde mit Elektroautos drehen konnten. Auf dem Fachkongress Elektromobilität bekräftige Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler, dass die Bundesregierung an ihrem Ziel festhalte, bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straße zu bringen. Um das zu erreichen, arbeiten die Hersteller mit Hochdruck daran, dass Batterien günstiger, leistungsfähiger und leichter werden.

ZF kam mit der Weltneuheit Traxon nach Hannover. Das automatische Getriebesystem für schwere Lkw ist  für Drehmomente von mehr als 3 200 Nm ausgelegt. Sein modulares Getriebekonzept macht den Einsatz mehrerer Antriebsaggregate mit einem Grundgetriebe möglich. Es lässt sich beispielsweise mit einem Doppelkupplungsmodul  oder einem 120 kW starken Hybridmodul kombinieren. Damit sind beide Technologien erstmals im Segment der schweren Nutzfahrzeuge verfügbar. Ab 2014 wird ZF das Getriebesystem an Iveco liefern. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde auf der IAA unterzeichnet.

Eine Absichtserklärung zur strategischen Zusammenarbeit bei Entwicklung und Produktion von Sattelaufliegernunterzeichneten Trailerhersteller Kögel und die Weichai Holding Group, einer der größten Nutzfahrzeug- und Automotive-Hersteller Chinas.  „Kögel hat in China dank unserer innovativen und hochqualitativen Sattelauflieger seit Jahrzehnten einen hervorragenden Namen. Darauf bauen wir weiter auf. Mit Weichai Power haben wir einen für uns geeigneten Partner gefunden“, sagte Kögel-Inhaber Ulrich Humbaur. Am Stand zu sehen war die 2-Achs-Version des Kögel-Muldenkippers, der mit einem Ladevolumen von 24 Kubikmeter oder 27 Kubikmeter und in verschiedenen Wandstärken verfügbar ist.

Auf den chinesischen Markt drängt auch Schmitz Cargobull. Ein starker Partner steht mit dem dortigen Lkw-Hersteller Dongfeng zur Seite. Bereits  2014 soll die Produktion im neuen Werk in Wuhan aufgenommen werden. Ein neues Monatewerk soll zudem im russischen St. Petersburg entstehen. Als Produkt des Unternehmens für hohe Kippfrequenzen im Baustellenbereich und den Transport von abrasivenSchüttgütern warder Sattelkipper S.KI Light ausgestellt. Er ist verfügbar als Stahl-Rundmulde oder Aluminiummulde.

Mit gleich 26 Exponaten präsentierte sich Kipper-Hersteller Meiller auf der Messe.  Damit Fahrer nicht mit noch angehobener Kippmulde losfahren und in brenzlige Situationen geraten, überwacht die neue elektronische Kippersteuerung den Ablauf. Übersteigt die Fahrgeschwindigkeit 18 km/h, bremst das Fahrzeug selbständig ab.  Meiller weitet sein Produktportfolio für Nordeuropa aus und präsentierte daher einige Modelle für den skandinavischen Markt.

Carnehl präsentierte als Neuheit seine neue konische Halbschalenmulde mit einem Ladevolumen von 24 Kubikmeter. Export-Managerin Nicole Carnehl kündigte den Ausbau der Fertigung am Stammsitz Pattensen bei Hannover an.

Hoch zufrieden mit dem Verlauf der Messe zeigte sich Trailer-Hersteller Fliegl. Nie zuvor habe das Unternehmen eine Ausstellung mit so vielen Bestellungen abschließen können wie bei der IAA 2012. Erfreulich sei auch die hohe Zahl an Neukunden. Einige Ausstellungsfahrzeuge konnten direkt am Stand verlauft werden - der Dreiachs-Kippsattelaufliegeretwa wird künftig zur Beförderung von Schüttgut im nordrhein-westfälischen Uedemeingesetzt.

Zum Abschluss der Messewoche waren mehr als 260 000 Besucher zur IAA gekommen. 354 Weltpremieren wurden ihnen auf einer Fläche von 260 000 Quadratmeter an den Ständen der 1 904 Ausstellern aus 46 Ländern geboten –sämtliche dieser Zahlen stehen für einen IAA-Rekord. Die Zahl der ausländischen Aussteller betrug 1 047. Erstmals kamen mit 152 die meisten ausländischen Aussteller aus China, gefolgt von der Türkei (135) und Italien (134). VDA-Präsident Wissmann freute sich in seinem Abschluss-Statement vor allem über den hohen Anteil von Fachbesuchern (85 %). Mehr als die Hälfte von Ihnen plant innerhalb der nächsten zwölf Monate Investitionen im Nutzfahrzeugbereich.

Die IAA Nutzfahrzeuge wird noch bis mindestens 2020 in Hannover ausgerichtet, die nächste Ausgabe findet vom 25. September bis 2. Oktober 2014 statt. (spo)

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