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Molipipes 9. Dezember 2019

Strom in der Pipeline

Kies und Sand machen sich nützlich in Strompipelines. Vielleicht hilft das bei der Beendigung der Trassendiskussionen in Deutschland.

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Dauerthema Netzausbau: Während in vielen Bundesländern Politiker, Stromunternehmen und Bürgerinitiativen verbissen für oder gegen die durch Deutschland geplanten Energie-Highways kämpfen, bereitet Martin Molitor seelenruhig seinen Streckenflug rund um Stuttgart vor. Gar nicht so einfach, die 500 km zu schaffen, gestartet mit einem Segelflugzeug an der Nahe und in der Hoffnung, am Abend motorlos und klimafreundlich auch wieder sicher nach Bad Sobernheim zurückzukehren. Vor wenigen Tagen hat der Versuch nicht geklappt. Das Wetter passte nicht – im Süden keine Thermik. Man muss abwarten können.

Abwarten kann der inzwischen emeritierte Professor für Elektrotechnik. Aber jetzt scheint die Zeit reif zu sein. Denn was er mit seinem Team an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg in den vergangenen Jahren entwickelt hat, ist jetzt wissenschaftlich erprobt und somit industriell serienreif: Strompipelines. Damit ließen sich hässliche Freileitungen und teure Erdkabel vermeiden; diese Elektrizitätshighways würden den Streit um Stromtrassen schlicht überflüssig machen. Weil Molitor ihr Erfinder ist, taufte seine Schwester sie auf den Namen „Molipipes“. Das Patent an ihnen hält die Magdeburger Universität. Und die
wolle es jetzt verkaufen, erklärt der Wissenschaftler. Interessenten gebe es schon, aus Kanada
und aus China. Aus Deutschland kenne er bislang keine.

Wie Gasröhren mit Leiterrohr

Bei den „Molipipes“ geht es nicht um eine technische Schrulligkeit. Es geht um ein Milliardengeschäft. Und auch um einen Turbo für die Energiewende. „Unsere Strom-Pipelines ähneln mittelgroßen Gasröhren, die jedermann kennt. In ihnen liegt ein dickes Leiterrohr. Es ist in eine Mischung aus Kies, Sand und Epoxidharz eingegossen und mit Stahl ummantelt. Das alles ist dann so fest, da kann man mit dem Bagger drüberfahren, ohne dass etwas passiert! Und magnetische Felder gibt es wegen des geschlossenen Stahlmantels auch keine.“

Und das heißt: Solche Stromröhren könnte man auch durch Wohn- oder Naturschutzgebiete legen. Menschen würden nicht gefährdet durch magnetische Felder, die gesundheitsschädlich sein können, das Landschaftsbild würde nicht beeinflusst. Und katastrophensicher wären sie auch noch – keine Blackouts mehr durch Stürme oder Hochwasser. „Die Verlegung ist ganz einfach und geht schnell.“ Der Clou: Molitor will in seine Stromhighways gleichzeitig auch Glasfaserkabel legen. Die könnten entlegene Landstriche elegant mit schnellem Internet versorgen. Abzweigungen wären ohne weiteres möglich. Bei den derzeitig geforderten neuen Trassen quer durch Deutschland und dem parallelen Ausbau des Breitbandnetzes wäre das ein nicht zu unterschätzender positiver Nebeneffekt. Damit, so Molitor, könnten die zeitraubenden und spaltenden Kontroversen über Stromtrassen ein für alle Mal beendet werden: „Unsere Strompipelines tragen sowohl den nötigen Transportmengen als auch den Bedenken von Bürgerinitiativen Rechnung! Das hieße: Wutbürger ade!“

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Für Wechsel- und Gleichstrom

Molipipes seien zwar teurer als Freileitungen, aber ein Drittel billiger als herkömmliche Erdkabel. „Diese Erdkabel müssen zudem alle 15 bis 20 Jahre ersetzt werden. Unsere Pipelines dagegen sind wartungsfrei und halten mindestens ein halbes Jahrhundert.“ Wechsel- oder Gleichstrom – beide Stromarten ließen sich in beliebigen Spannungen und Mengen transportieren. Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) ist über besonders weite Strecken interessant wegen der geringeren Transportverluste. „Mit unserer Technik ließen sich sehr einfach Windparks in der Nordsee anschließen, sogar die norwegischen Stauseen als Stromspeicher nutzen oder Solarstrom aus der Sahara importieren“, so Molitor. Bahnstrom könne ebenfalls über Molipipes laufen. Und man könne sie auch stadtnah verlegen: „Wenn wir erst einmal große Mengen Strom brauchen, um E-Autos aufzuladen, dann konkurrieren herkömmliche Kabel mit den Kommunikationsleitungen. Unsere Strompipelines tun das nicht.“

Kanada ist interessiert

Der Universität könnte das Patent einige Millionen Euro bringen, schätzt Molitor. Interessenten seien da, aber die kämen eben aus dem Ausland: „Für die Kanadier wären Molipipes ideal: die haben wegen der harten Winter große Probleme mit Freileitungen und im Permafrost mit Erdkabeln. Und die Chinesen wissen genau, dass hier eine Zukunftstechnologie auf den Markt kommt.“ Dass den hiesigen Herstellern von Erdkabeln oder noch komplizierteren und teureren unterirdischen Stromtransportsystemen die Molipipes ein Dorn im Auge sind, erwähnt der Professor nur nebenbei. Er hält es aber durchaus für möglich, dass dieses Patent gekauft wird, um anschließend in einem Firmentresor zu verschwinden. „Die ganze Sache ist viel zu wichtig, um sie vor der Öffentlichkeit zu verstecken“, meint der Wissenschaftler.  (Joachim Marholdt)

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