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Archiv 3. Mai 2015

Gesetz mit Sprengkraft

Die EU-Richtlinien zur Kennzeichnung und Nachverfolgung von Explosivstoffen für zivile Zwecke gelten seit dem 5. April 2015. Viele Steinbruchbetriebe haben noch kein elektronisches Sprengmittel-Lagerbuch, nicht zuletzt wegen hoher Kosten. Vorstellung eines günstigen und funktionstüchtigen Track & Trace-Systems.

Ab sofort nur mit ?Track and Trace?: Sprengungen in Steinbrchen.
Ab sofort nur mit ?Track and Trace?: Sprengungen in Steinbrchen.

Zahlreiche Geschäftsführer sowie Betriebsleiter von Steinbruchbetrieben, in denen der Rohstoffabbau mit Explosivstoffen erfolgt, stehen der EU-Verordnungen zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von Explosivstoffen (EU-Richtlinien 2008/43/EG, 2012/4/EU sowie die „neue“ Explosivstoffrichtlinie 2014/28/EU; auch EU-Kennzeichnungsrichtlinien genannt) sehr ablehnend gegenüber.

Viele Steinbruchmanager hofften, von dieser, aus ihrer Sicht unsäglichen EU-Verordnung verschont zu werden. „Diese EU-Richtlinien werden sicherlich nicht vollzogen. Da wird garantiert noch ein Aufschub kommen. So einen Schmarrn kann die EU mit uns doch nicht machen.“ Diese und andere Aussagen hörte man auf der 36. Informationstagung Sprengtechnik 2014 in Siegen, auf dem Natursteintag 2015 in Nürnberg und bei anderen Fachveranstaltungen zu Hauf. Die Entrüstung ist allerorten sehr groß. Man fühlt sich von der EU in die Enge getrieben und irgendwie hilflos ausgeliefert. Vor allem die Kosten von 35 000 bis über 150 000 Euro, die zunächst im Raume standen, schockten sehr, erwiesen sich zum Glück als völlig überzogen. „Streichen Sie mal gleich eine Null weg, dann stimmt es“, lautete die Aussage eines Insiders. Zumindest diese Aussage lässt hoffen. Der Stichtag 5. April 2015 ist vorbei. Dies hat zur Folge, dass nicht entsprechend gekennzeichnete Explosivstoffe bis zu einer Änderung der Rechtslage nur noch aufbewahrt werden dürfen. Und das heiß ersehnte kleine Hintertürchen soll kommen.

Da die Europäischen Richtlinien ein Verwendungsverbot durch den Endverbraucher nicht fordern und Sicherheitsaspekte einer Weiterverwendung der berechtigt besessenen Explosivstoffe durch den Endverwender (und nur durch diesen) nicht entgegenstehen, beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Explosivstoffrichtlinie 2014/28/EU, dem Gesetzgeber eine Änderung von
§ 49 des Sprengstoffgesetzes (1. SprengV) vorzuschlagen, die einen Verbrauch der nicht gekennzeichneten Explosivstoffe durch die berechtigten Endverbraucher gestattet. Das entsprechende Gesetzgebungsverfahren wird jedoch nicht vor Ende 2015 abgeschlossen sein. Das bedeutet für die Steinbruchbetriebe, dass die seit dem 5. April 2015 nur noch zu lagernden Explosivstoffe so lange aufbewahrt werden dürfen, bis nach Inkrafttreten der beabsichtigten Rechtsänderung ein Verbrauch durch den Endverwender wieder zulässig wäre. Aber bitte nicht bereits während der Gesetzgebungsphase die Explosivstoffe verwenden, denn dies wäre eindeutig illegal.

Seit dem 5. April 2015 sind die Endverbraucher, also auch die Steinbruchbetriebe, verpflichtet, lückenlos über die Verwendung und den Verbleib der Explosivstoffe Auskunft zu geben, welche sie seit diesem Stichtag einsetzen; und zwar Rund-um-die-Uhr! Damit müssen und sollten sich Steinbruchbetreiber abfinden. Die EU-Verordnung zur Rückverfolgbarkeit von Explosivstoffen ist ein Fakt, auch wenn es noch viele, viele offene Fragen gibt, wie Stefan Orth, Geschäftsführer der Ontaris in einem Gespräch mit SUSA betont. Die Ontaris GmbH in Wuppertal wurde in 1994 von Stefan Orth gegründet und befasst sich mit individuellen Softwarelösungen (nach Scrum), Schulungssoftware sowie EDV-Schulungen. Mit Sprengmitteln hatten sie bis vor wenigen Jahren nichts zu tun. Einer ihrer Kunden ist allerdings die maxit Baustoffwerke GmbH in Krölpa (südlich von Jena), ein Unternehmen, das mit Sprengstoff tagtäglich umzugehen hat.

Stefan Orth prsentiert stolz seinen robusten 9-Zoll-Tablet-Computer und den kompakten Bluetooth-Scanner. Sein System hat sich schon ber 150 Mal in der rauen Praxis bewhrt.Foto: Foto: Robert Ruthenberg
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Seit Mitte 2013 beschäftigen sich die Firmen maxit Baustoffwerke, J. Bergmann Kalkwerk Azendorf sowie die Technische Universität Bergakademie Freiberg gemeinsam sehr intensiv mit der EU-Verordnung für die Kennzeichnung und Nachverfolgung von Explosivstoffen. Etwa zur gleichen Zeit begannen die Partner mit der Suche nach einer geeigneten Softwarelösung, denn es war schnell klar, dass die neuen gesetzlichen Anforderungen auf dem klassischen Weg über ein manuell geführtes Lagerbuch in Papierform nicht zu erfüllen waren. Der Aufwand wäre schlicht zu groß.

Es musste daher eine EDV-Lösung gefunden werden, die den Anforderungen sowohl des Tagebaus, als auch des Bergbaus gerecht wird. Schlussendlich wurde folgender Anforderungskatalog an das elektronische Lagerbuch und die benötigte Hardware festgelegt:

  • Erfüllung der EU-Kennzeichnungsrichtlinie (Explosivstoffrichtlinie 2014/28/EU)
  • Ein Internetanschluss soll nicht notwendig sein
  • Ein möglichst einfach zu bedienendes System
  • Eine übersichtliche sowie gut lesbare Oberfläche; auch am Tage bei Sonnenschein
  • Ein möglichst geringer Schulungsaufwand
  • Eine geeignete Hardware für den Einsatz im Sprengmittellager sowie beim Umgang mit den Zündern
  • Ein größtmöglicher Schutz der Daten

Außerdem sollte sich die Lösung so in den Arbeitsablauf integrieren lassen, dass keine zusätzlichen Arbeitsschritte, beispielsweise am Ende des Tages durch Nacharbeit der am Tag erfassten Daten (Synchronisation der Geräte o.ä.) notwendig sind. Anke Adler, IT-Leiterin der maxit Baustoffe GmbH, beschrieb die Suche nach einer geeigneten EDV-Lösung wie folgt: „Wir hatten uns eine ganze Weile intensiv auf dem Markt nach einer Lösung umgesehen, aber nichts passendes gefunden.“ Und sie ergänzte: „Aus diesem Grund gingen wir eine Entwicklungspartnerschaft mit der Firma Ontaris ein, mit der wir schon lange sehr erfolgreich zusammenarbeiteten.“ Gemeinsam wurden die Arbeitsabläufe, beginnend bei der Bestellung über die Lieferung, die Lagerung sowie bis zum Verbrauch detailliert analysiert. Die zu verwendenden Geräte wurden gemeinsam ausgesucht und getestet. Die Programmoberfläche galt es ebenfalls gemeinsam zu definieren. Als Ergebnis entstand so eine Software, welche auf einem robusten 9-Zoll-Tablet-Computer läuft. Darüber hinaus wurde ein handlicher Scanner entwickelt, der per Bluetooth mit dem Tablet-Computer verbunden ist.

Da die Überprüfung der Umsetzung der Kennzeichnungsrichtlinie in der Verantwortung der einzelnen Landesbehörden liegt, war ein frühzeitiger direkter Kontakt wichtig. „Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu unserer zuständigen Aufsichtsbehörde und haben frühzeitig mit ihr über die Umsetzung diskutiert“, so Wolfram Lisker, Leiter Bergbau bei den maxit Baustoffwerken. Im April 2014 erfolgte dann der erste Praxiseinsatz des neuentwickelten elektronischen Sprengmittel-Lagerbuches. Zum ersten Mal sollte die Sprengstofflieferung mit dem neuen System in Empfang genommen und verbucht werden. Die XML-Datei (Extensible Markup Language, eine spezielle, hierarchisch strukturierte Textdatei) vom Lieferanten, die alle Identcodes (Barcodeinhalte) für die gesamte Lieferung enthält, wurde am Vortag per E-Mail zugestellt. Am nächsten Tag, als die Anlieferung des Sprengstoffs stattfand, sollte sie für den elektronischen Wareneingang und zur Durchführung der Stichprobe verwendet werden. Es stellte sich allerdings heraus, dass die XML-Datei vom Sprengmittel-Hersteller mit der Software nicht geladen werden konnte. Der Aufbau der per E-Mail übersandten XML-Datei entsprach nämlich nicht dem FEEM-Standard. Bei der Analyse der Datei durch das Ontaris-Team konnte die Ursache schnell gefunden werden und die XML-Datei wurde entsprechend korrigiert. Die Warenannahme ließ sich dann problemlos durchführen. Schließlich war die Erzeugung einer XML-Datei für die Sprengmittel-Hersteller ebenfalls neu, so dass es zu kleineren Problemen kam, welche allerdings schnell abgestellt werden konnten.

Die Hardware wurde ebenfalls von allen Partnern gemeinsam ausgewählt. Gemäß den Empfehlungen der BAM (Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung) sollten die Geräte eine Schutzart von mindestens IP54 (staub- und spritzwassergeschützt) erfüllen und die Sendeleistung nicht größer als 100 mW sein. Mobilfunkgeräte sind somit ungeeignet, da sie in der Regel eine Sendeleistung von über
100 mW aufweisen. Schlussendlich wurde ein robuster Outdoor-Tablet-Computer (sogar in Schutzart IP65 = absolut staubdicht und strahlwassergeschützt) ausgewählt sowie ein sehr kompakter Handscanner. Der ausgewählte Tablet-PC lässt sich während der Arbeit fast überall ablegen und der kleine Handscanner ist schnell in die Tasche gesteckt, so dass man bei Bedarf beide Hände frei hat. Ein wichtiges Praxisdetail ist auch, dass sich die gesamte Software mit nur einem einzigen Finger bedienen lässt. Eine Maus oder ähnliche Hilfsmittel sind nicht nötig.

Da alle gesetzlichen Anforderungen an die Art der Verzeichnisführung beim elektronischen Lagerbuch erfüllt werden, reicht zur Authentifizierung ein PIN-Code, der den Zugang zu der Software vor unberechtigtem Zugriff schützt. Für die Ausgabe des Systems entschied man sich für einen Sprengausweis, den jeder sprengberechtigte Mitarbeiter erhält. Wenn der Lagerverwalter den Sprengstoff an einen anderen Sprengberechtigten ausgibt, zeigt dieser seinen Sprengausweis vor. Auf diesem ist ein Data-Matrix Code aufgebracht, der mit dem Handscanner eingelesen wird und dadurch den Sprengberechtigten eindeutig identifiziert. Dies wird im Sprengmittel Lagerbuch automatisch vermerkt (ein Foto des Sprengberechtigten wird auf dem Tablet sogar angezeigt) und kann bei einer Prüfung so nachgewiesen werden. Damit entfällt eine Unterschrift des Verwenders. Eine Vervollständigung des Lagerbuchs am Ende des Tages am Computer im Betriebsbüro ist nicht erforderlich, lässt sich jedoch auf Wunsch realisieren, falls die betrieblichen Abläufe dies erfordern. Wolfram Lisker kann dem neuen System sogar viel Positives abringen, denn die „Erfassung der Daten mit unserem neuen System spart gegenüber der bisherigen manuellen Führung des Lagerbuches doch erhebliche Zeit ein.“

Ein dreimonatiger Praxistest des neuen Sprengmittel-Lagerbuchs bei den Zement- und Kalkwerken Otterbein bei Fulda verlief Mitte 2014 ebenfalls sehr positiv. Seit dieser Zeit hat dieses Unternehmen das „Track and Trace“ mit elektronischer Lagerbuchführung in den Regelbetrieb übernommen. Der Steinbruch bekommt etwa alle drei Wochen eine Sprengmittel-Lieferung, die im Durchschnitt vier bis fünf Paletten umfasst. Der Leiter des Steinbruchbetriebs und Sprengverantwortlicher, stellt nach intensiver Nutzung des Ontaris Sprengmittel-Lagerbuches erfreut fest, dass „die Software einfach zu bedienen und sehr übersichtlich ist. Zudem arbeitet sie sehr zuverlässig. Sie macht genau das, was sie soll. Es ist auch gut, dass wir jetzt schon Erfahrungen mit dem System sammeln können und die Wuppertaler Softwarefirma diese in weiteren Entwicklungen berücksichtigen kann.“ Trotzdem seien noch nicht alle Fragen geklärt, dies hätten die Erfahrungen der letzten Zeit gezeigt.

Auf der 36. Informationstagung Sprengtechnik in Siegen am 25. und 26 April 2014 präsentierte Geschäftsführer Orth die dritte Generation seines „Track amp; Trace“-Systems. Mit mittlerweile über 150 Systemen im Feld dürften die Wuppertaler führend in der Praxis sein, denn mancher Konkurrent hat noch nicht einmal ein einziges System am Laufen. Auf dem Natursteintag 2015 in Nürnberg führte Stefan Orth sein System dem Publikum vor und konnte damit eindrucksvoll punkten. Die Software läuft recht flott auf dem Outdoor-Tablet-Computer und vermag sogar Spezialitäten wie „pumpbare Sprengstoffe“ oder die Teilentnahme von Sprengschnüren problemlos zu verwalten. Die Demonstration war sehr gelungen und ließ kaum Fragen bei den Anwesenden offen.

Emulsionssprengstoffe werden hufig per Tintenstrahldrucker gekennzeichnet. Der Aufdruck verwischt / verblasst oft schnell, ein Scannen ist dann unmglich. Was dann?Foto: Foto: Orica Mining Services, Troisdorf

Umso mehr Fragen gab es bezüglich der Gesetzgebung, die anscheinend mit heißer Nadel gestrickt wurde. So vergaß man nicht nur den Aspekt „pumpbare Sprengstoffe“ komplett, sondern auch die Tatsache, dass Sprengschnüre auf einer Trommel nicht mit höchster Längengenauigkeit aufgewickelt werden. Behördenvertreter rieben sich verwundert die Augen, als es hieß: Mal werden eben 110 Meter statt den aufgedruckten
100 Meter aufgewickelt oder beim nächsten Mal „nur“ 108 Meter. „Das geht ja nun mal gar nicht, das muss absolut präzise sein“, lautete die praxisferne Aussage eines Behördenvertreters. Die Behörden wollen zudem eine Rund-um-die-Uhr-Kontrollmöglichkeit (24/7) bei jedem Betrieb haben, der Sprengstoffe herstellt und benutzt. Zur Not soll also irgendwer am Sonntag um Mitternacht aus dem Bett geklingelt werden, damit die Behörde sofort erfahren kann, wo denn nun die 30 m Sprengschnur abgeblieben sind. Ein Behördenzugriff auf das EDV-System (Frage dazu: Wer darf wann und wo das Login machen?) wird allerdings kategorisch abgelehnt. Die XML-Datei liefern zwar viele Sprengstoffhersteller dem Kunden mit, jedoch macht dies nicht jeder Lieferant. Was passiert, wenn diese eben nicht vorhanden ist? Was macht der betroffene Steinbruchbetrieb dann? Die Barcodes, welche beispielsweise auf die „Würste“ der Emulsionssprengstoffe per Tintenstrahldrucker platziert werden, verwischen und verkratzen leicht oder verschwinden sogar im Laufe der Zeit. Was macht der betroffene Steinbruchbetrieb dann? Vor allem verwischen oder verblassen die Barcodes dann, wenn das Sprengstofflager unklimatisiert und dort (nicht selten) eine hohe Luftfeuchtigkeit vorhanden ist. „Das muss sofort verhindert werden“, war die Antwort eines Behördenvertreters, „dann muss eben das Sprengstofflager voll klimatisiert sein“.

Ratlose Behrden: Wie werden Lieferungen von pumpbaren Sprengstoffen gehandhabt?Foto: Foto: Orica Mining Services, Troisdorf

Diese und andere Fragen sind bis heute noch nicht abschließend beantwortet und die Steinbruchbetriebe werden damit allein gelassen. So lange keine Rückfragen seitens der Behörden im Falle eines Falles auftreten, dürfte es egal sein, aber wehe, wenn dann etwas nicht im Sinne der Paragrafenreiter ist, dann dürften Geldstrafen wohl schnell fällig werden.

Zum Thema Kosten gab Ontaris-Geschäftsführer Stefan Orth schlussendlich Entwarnung. Der spritzwassergeschützte Tablet-Computer kostet 3 000 Euro und die „Track amp; Trace“-Software den selben Preis. Jeder Käufer kann selbstverständlich auch einen eigenen Computer nutzen, denn die Software lässt sich auch getrennt ordern. Darüber hinaus bieten die Wuppertaler Miet- sowie Leasinglösungen für Hard- und Software an. Stefan Orth betonte auch, dass die neue EU-Verordnung gar kein elektronisches Sprengbuch verlangt, weswegen „Gelegenheitssprenger“ dieses Buch weiterhin schriftlich fortführen können. Wer allerdings tagtäglich zig Hunderte Sprengmittel benutzt (Sprengstoff, Zündpatronen, Zündschnüre), der sollte schon allein aus Rationalisierungsgründen die elektronische Variante nehmen, da sie zudem vor Eingabe-/Schreibfehlern schützt und letztendlich Kosten spart, wie es auch Wolfram Lisker, der Leiter Bergbau bei den maxit Baustoffwerken bereits feststellte. Interessant war eine Insideraussage auf die Frage, welchen Mehrwert an Sicherheit denn dieser ganze Gesetzgebungswust bringen würde: „Der zusätzliche Sicherheitsgewinn ist gleich Null“. Na, dann wurde ja seitens der EU wieder ganze Arbeit geleistet. (Robert Ruthenberg)

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