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Archiv 25. Februar 2016

Das Ende der Rechtssicherheit?

Mit seinem Urteil vom 15.10.2015 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine weitere Ausweitung der Klagemöglichkeiten von Nachbarn und Umweltverbänden gegen Genehmigungsentscheidungen mit Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen. Die Entscheidung dürfte sich auch auf die Verfahrensausgestaltung bei Genehmigungsverfahren im Bereich der Rohstoffsicherung auswirken.

Gegen den Rohstoffabbau bildet sich teilweise ber Brgerinitiativen oder Umweltverbnde erheblicher Widerstand.
Gegen den Rohstoffabbau bildet sich teilweise ber Brgerinitiativen oder Umweltverbnde erheblicher Widerstand.

Die letzten Jahre waren geprägt durch eine Rechtsprechung, die die „Rechte der Umwelt“ als  Folge der europäischen Gesetzgebung fortwährend erweitert hat. Besonders ausgeprägt war dies in den Bereichen des Rechts auf Umweltinformationen, des Artenschutzes und im Zusammenhang mit Umweltverträglichkeitsprüfungen. In diese allgemeine Tendenz reiht sich das aktuelle Urteil des EuGH ein, geht aber nicht soweit, wie zunächst befürchtet wurde. Zwar hat das Gericht die Reichweite der sog. Präklusion eingeschränkt. Damit wird ein wichtiger Teil des deutschen Umweltverfahrensrechts im Zusammenhang mit Vorhabengenehmigungen, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedürfen, weitgehend wirkungslos. Jedoch sind insbesondere für Nachbarn weiterhin nur solche Fehler von Genehmigungsverfahren gerichtlich erfolgreich rügbar, die sich auch auf die Rechte der Nachbarn auswirken können und nicht nur gegen Vorgaben für die Allgemeinheit, z.B. natur- oder artenschutzrechtliche Belange, verstoßen.

Nichts desto trotz stellen sich weiterhin erhebliche Herausforderungen für Genehmigungsverfahren mit einer Öffentlichkeitsbeteiligung und der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung, die im Einzelfall bei Nichtbeachtung zu unkalkulierbaren und hohen Schäden für Abbaubetriebe führen können. Dies zeigen immer wieder Verfahren, in denen Abbaugenehmigungen durch die Gerichte für rechtswidrig erklärt werden. Ein solches Urteil hat etwa in der niedersächsischen Gemeinde Bohmte kürzlich dazu geführt, dass ein praktisch startklarer Abbaubetrieb gerichtlich gestoppt wurde (VG Osnabrück, 04.11.2015, 3 A 88/14) und unklar ist, inwieweit dieser in Zukunft aufgenommen werden kann. Dies bedeutet unabhängig von der Möglichkeit, eine Genehmigung ggf. in einem neuen Verfahren erhalten zu können, zunächst eine erhebliche Zeitverzögerung und hohe Kosten für den Vorhabenträger.

Hintergrund der Entscheidung des EuGH

Der verwaltungsrechtliche Rechtsschutz beruht in Deutschland im Wesentlichen auf der Anknüpfung an die Verletzung der Rechte Einzelner. Dies bedeutet, dass Einzelne gegen Entscheidungen wie insbesondere Genehmigungsentscheidungen nur dann klagen können, wenn der Einzelne in seinen Rechten durch eine Entscheidung betroffen und verletzt ist. Der Einzelne kann daher in der Regel keine Klagen damit begründen, dass Rechte verletzt werden, die die Allgemeinheit schützen, wie dies weitgehend bei den Normen zugunsten der Umwelt der Fall ist. Klassischerweise kann ein Nachbar nicht die Einhaltung von Emissionsgrenzwerten fordern, da diese der Vorsorge dienen und nicht dem Schutz vor unmittelbar drohenden Gefahren. Für Umweltverbände ist dieses System in den letzten Jahren dahingehend ausgeweitet worden, dass diese insbesondere umweltschützende Normen als „Anwälte der Natur“ rügen können. Ein solches Rügerecht besteht für Umweltverbände nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) vor allen Dingen dort, wo Genehmigungsverfahren mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden. Es sind also vor allem UVP-pflichtige Verfahren, wie die Errichtung oder Erweiterung von Steinbrüchen mit bestimmten Abbauflächen, betroffen.

Weiterhin ist im bisherigen verwaltungsrechtlichen System verankert, dass Öffentlichkeit und Umweltverbände mit Einwendungen gegen ein Vorhaben ausgeschlossen sind, wenn diese nicht innerhalb einer bestimmten Frist während des Genehmigungsverfahrens vorgebracht werden (Präklusion). Dies ist für Umweltverbände in § 2 Abs. 3 UmwRG geregelt und im Rahmen von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren in § 10 Abs. 3 BImSchG. Schließlich ist in der Regel durch den jeweiligen Kläger, egal ob Nachbar oder Umweltverband, zu beweisen bzw. fundiert vorzutragen, welche Verstöße gegen geltendes Recht im konkreten Fall vorliegen. So sind z.B. Fehler einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu benennen und darzulegen, dass ein solcher Fehler sich auf die Entscheidung im Genehmigungsverfahren ausgewirkt hat. Also ist darzulegen, dass ohne den Fehler die Genehmigungsentscheidung anders ausgefallen wäre.

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EuGH schreibt neues Verfahrensrecht vor

Mit dem aktuellen Urteil des EuGH vom 15.10.2015 und dem sog. Altrip-Urteil (EuGH, 07.11.2013 - C-72/12) gibt der Gerichtshof dem deutschen Gesetzgeber und den deutschen Gerichten einen Rahmen für Verfahren insbesondere mit Umweltverträglichkeitsprüfungen vor. Dabei hält er jedoch für die Rügebefugnisse Einzelner an der deutschen Anforderung fest, dass Einzelne nur solche Rechte rügen dürfen, die sie selbst schützen. Soweit allerdings etwa Nachbarn solche Rügen geltend machen können, können im Rahmen einer dieser Klagen auch Fehler oder das Unterlassen von Umweltverträglichkeitsprüfungen gerügt werden.

Die Präklusion, wie sie im Umweltrechtsbehelfsgesetz geregelt ist und für Planfeststellungsbeschlüsse im Verwaltungsverfahrensgesetz, hat dagegen dem Urteil des EuGH nicht standgehalten. Die Präklusion ist danach insoweit unzulässig, als die Rüge auf solche Einwendungen beschränkt ist, die bereits im Verwaltungsverfahren durch den Kläger vorgebracht wurden. Dies gilt nach dem Urteil in der Regel nicht mehr, sondern auch ohne wesentliche Beteiligung eines Klägers im Verwaltungsverfahren, kann dieser in einer Klage erstmals die gegen eine Genehmigungsentscheidung bestehenden Vorbehalte und Rügen vorbringen. Dies bedeutet eine erhebliche Unsicherheit für Vorhabenträger und Behörden, da die eigentliche Funktion einer Öffentlichkeitsbeteiligung, eine verbesserte Entscheidungsgrundlage zu schaffen, nicht mehr erfüllt werden kann. Ohne Kenntnis von möglichen Betroffenheiten von Nachbarn oder der Umwelt kann hierauf kaum reagiert werden. Als einziger Lichtblick sei darauf hingewiesen, dass die ebenfalls umstrittenen Klagefristen gegen Genehmigungsentscheidungen wohl auch nach europäischem Recht zulässig sind. Klagt ein Umweltverband oder ein Nachbar nicht innerhalb der für ihn nach Zustellung oder Bekanntgabe einer Genehmigungsentscheidung geltenden Frist, ist die Genehmigungsentscheidung ihm gegenüber bestandskräftig und kann grundsätzlich nicht mehr angegriffen werden.

Neben der für Genehmigungsverfahren wichtigen Frage der Präklusion hat der EuGH mit dem aktuellen Urteil klargestellt, dass die bisher notwendige dezidierte Darlegung von Fehlern durch den Einwender oder Betroffenen insbesondere bei Umweltverträglichkeitsprüfungen und die Auswirkung dieser Fehler auf die Genehmigungsentscheidung so nicht haltbar ist. Es genügt nunmehr in der Regel, dass ein Kläger auf einen Fehler oder ein Unterlassen hinweist und diesen im Gerichtsverfahren vorbringt. Die Behörde hat dann wiederum nachzuweisen und darzulegen, dass sich ein solcher Fehler, soweit er besteht, nicht auf die Genehmigungsentscheidung ausgewirkt hat. Dies führt zu einer Beweislastumkehr und die Behörde muss darlegen, dass die Genehmigungsentscheidung auch bei einem fehlerlosen Verfahren genauso ergangen wäre. Dies bedeutet eine erhebliche Entlastung der Kläger gegen Genehmigungsentscheidungen und erfordert eine erhöhte Aufmerksamkeit von Behörden und Vorhabenträgern. Weiterhin wird noch intensiver und genauer auf die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung und auf die ordnungsgemäße Durchführung einer solchen Prüfung zu achten sein.

Reaktion des Gesetzgebers

Wie in der Vergangenheit, ist der Gesetzgeber durch die aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung zu einer Anpassung insbesondere des Umweltrechtsbehelfsgesetzes gezwungen. Derzeit ist in einem Referentenentwurf zum Umweltrechtsbehelfsgesetz beispielsweise die Beweislastumkehr zugunsten der Kläger aufgegriffen worden. Die Frage der Präklusion ist dagegen bisher noch offen und es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber mit dem aktuellen Urteil des EuGH umgeht. Zwar hat der EuGH grundsätzlich die Möglichkeit aufgeworfen, dass ein missbräuchliches oder unredliches Vorbringen im Verfahren ausgeschlossen werden kann, sofern dieser Ausschluss geeignet ist, ein ordentliches Gerichtsverfahren zu gewährleisten. Inwieweit eine solche allgemeine Aussage jedoch rechtssicher durch den Gesetzgeber umzusetzen ist, ist fraglich. Vorhabenträger sollten sich nicht darauf verlassen, dass die Gerichte zu ihren Gunsten Auslegungsspielräume nutzen und eine gesetzgeberische Lösung weiteren Urteilen des EuGH standhält.

Folgen für Abbaubetriebe

Die aktuelle Rechtsprechung bedeutet für Abbaubetriebe insbesondere in aktuellen Genehmigungsverfahren, in denen eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, eine erhebliche Unsicherheit. Zwar ist das Urteil nicht zur Präklusion bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren ergangen. Jedoch ist damit zu rechnen, dass die Gerichte die Wertung des EuGH auch auf das Immissionsschutzrecht und damit auf die Regelung des § 10 Abs. 3 S. 5 BImSchG übertragen werden. Gerade bei erheblichem Widerstand, wie er sich teilweise über Bürgerinitiativen oder Umweltverbände gegen den Rohstoffabbau bildet, ist mit erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber den umweltrechtlichen und nachbarschützenden Anforderungen umzugehen. Fundierte Einwendungen oder Hinweise von Nachbarn oder Umweltverbänden sollten ernst genommen werden und möglichst in das Genehmigungsverfahren einfließen. Soweit möglich, sollte eine offene Kommunikation mit der Öffentlichkeit geführt werden, was allerdings im Einzelfall schwierig sein kann, da gerade Bürgerinitiativen teilweise nicht kompromissbereit sind. Hier empfiehlt sich ein umsichtiges Verfahrensmanagement in Zusammenarbeit mit den Genehmigungsbehörden. Dadurch kann eine Genehmigungsentscheidung erreicht werden, die auch einer gerichtlichen Überprüfung standhält. Für Genehmigungsverfahren sollte im Einzelfall auch ausreichend zeitlicher Vorlauf eingeplant werden, so dass mögliche Gerichtsverfahren und die damit einhergehenden zeitlichen Verzögerungen nicht zu wesentlichen Beeinträchtigungen eines Abbaubetriebes führen. (RA Dr. Karsten Keller, Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Hamm/Münster)

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