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Vernachlässigte Straßen

Im Jahr 2010 flossen 46,5 Mrd. Euro von der Straße in den Bundeshaushalt – eine stolze Summe. Trotzdem bröckeln Brücken und Autobahnen, über die sich zäher Verkehr müde dahin schleppt.

Patient Strae: Fast 21 % der Bundesstraen sind in kritischem Zustand.Foto: Grafik: 2012 IW Medien idw 39

Es sind verhängnisvolle Affären, die sich mit Einbruch des Frühlings wieder vermehrt auf Deutschlands Straßen abspielen: die Bekanntschaft mit Schlaglöchern jagt Auto- und Motoradfahrern regelmäßig einen gehörigen Schrecken ein. Glück gehabt, wenn sich nur etwas kalter Kaffee übers Armaturenbrett ergießt und die Vorderachse empört grüßen lässt. Im Jahr 2011 zählte die Polizei laut Statistischem Bundesamt 1 596 schwere Unfälle, bei denen es nicht so glimpflich abgelaufen ist. Als Unfallursache protokollierten die Beamten einen „anderen Zustand der Straße“, darunter fallen Schlaglöcher, Spurrinnen oder Bodenwellen. Die Unfallursache Nummer 1, nämlich ein Fehlverhalten des Fahrers, hat hierbei keine Rolle gespielt. In 85 % dieser Fälle wurden Menschen verletzt, 14 starben. Bei den übrigen 15 % blieb es bei wirtschaftlichen Totalschäden, leichte Blechschäden sind hier nicht erfasst. In der Gesamtstatistik aller Unfälle mit Verletzten und Toten machen Straßenschäden als Unfallursache gerade einmal 0,5 % aus, „doch die Dunkelziffer dürfte höher liegen“, meint Stefan Gerwens, Geschäftsführer des Verbandes „Pro Mobilität“. Denn wer wegen eines Schlaglochs verunglückt, dabei aber zu schnell unterwegs war, fällt in die Statistik des Fehlverhaltens. Das Schlagloch als Unfallursache wird nicht mitgezählt, auch wenn auf einer intakten Straße nichts passiert wäre. „Menschen machen Fehler“, betont Gerwens, „wir brauchen Straßen, die eine Unkonzentriertheit oder eine für schlechte Witterung zu schnelle Geschwindigkeit so gut es geht kompensieren können.“ Dazu aber müssten sie in einwandfreiem Zustand sein. Straßenschäden sind vor allem für Motorradfahrer gefährlich, besonders riskant sind nach Informationen des IFZ, Institut für Zweiradsicherheit, Rollsplitt, Schlaglöcher, Spurrinnen und Bodenwellen, auch bei vorschriftsmäßiger Fahrweise.

Lange Warteschlangen auf klapprigen Straßen

Wenngleich die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer ein starkes Argument für technisch einwandfreie Straßen ist – die Realität sieht anders aus. Knapp
9 % der Bundesautobahnen sind so kaputt, dass der Straßenfertiger auf der Stelle scharf geschaltet werden müsste, bei den Bundesstraßen sind es sogar fast
21 %. Ähnlich düster sieht es bei den Brücken aus: 12 % stufte der Deutsche Bundestag im Jahr 2011 als kritisch ein, 2 % als „ungenügend“. Mit der Sperrung der Rheinbrücke auf der A1 bei Leverkusen für Fahrzeuge ab 3,5 t bekommt falsche Sparpolitik erstmals ein Gesicht. Schadenfroh streckt es einem die Zunge entgegen - die Brücke ist so marode, dass sie bei zu starker Belastung einzustürzen droht.
Auch auf deutschen Landstraßen muss es wüst zugehen. Aussagekräftige Zahlen, die den Zustand des regionalen Verkehrsnetzes ähnlich realistisch abbilden wie die des Bundes, gibt es nicht. „Viele Länder veröffentlichen dazu bewusst keine Zahlen oder erheben keine Statistik“, erklärt Stefan Gerwens. Die Unfallzahlen aber lassen Schlimmes vermuten: 60 % der Verkehrsteilnehmer verunglücken auf Landstraßen. Die Daehre-Kommission rechnete aus, dass Länder und Kommunen in den nächsten 15 Jahren jährlich knapp 2 Mrd. Euro zusäztlich in die Hand nehmen müssten, nur um lange existierende Schlaglöcher und andere Schäden zu stopfen.

Engpsse im AutobahnnetzFoto: Grafik:10/2012 ADAC e.V.

Und dann sind da noch die lähmenden Staus. 2011 stand der Verkehr auf deutschen Fernstraßen laut ADAC in einer
450 000 km langen Warteschlange, zwischen dem Berliner Wedding und Neukölln bewegte sich 13 268 Stunden lang nichts mehr. Neue Straßen würden Entlastung bringen, doch die Wörter „Neu- und Ausbau“ wagt in der jetzigen politischen Diskussion kaum noch jemand in den Mund zu nehmen. Verkehrsexperten schätzen, dass der Bund 4 Mrd. Euro zusätzlich in deutsche Fernstraßen stecken müsste, um den Verkehr spürbar zu entzerren. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer aber macht im Gespräch mit SUSA deutlich: Erhalt vor Neubau (s. Interviewkasten). Das Infrastrukturprogramm II bescherte seinem Ministerium zusätzliche 570 Mio. Euro für Straßen, die aber Finanzlöcher bereits laufender Aus- und Neubaumaßnahmen stopfen sollen. Auch im Daehre-Bericht ist für das Thema Neubau kein Platz. Im 174 seitenstarken Bericht dreht sich alles nur um die Mittel, mit denen deutsche Straßen gesunden könnten. Das Ergebnis ist alarmierend: Für das überfällige Fitnessprogramm fehlen Bund und Ländern jährlich 4,7 Mrd. Euro.

Foto: 2012 IW Medien ? iwd 39

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