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Die Branche zu Corona-Zeiten

Wie geht´s uns denn so?

Während andere Branchen schwer unter der Corona-Pandemie leiden, meldet sich die Bau- und Baustoffindustrie einigermaßen gesund.

Construction in quarantine. Conceptual photo of a stop of construction work. Unfinished house is blocked by a medical mask.
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Immerhin: Die Toilettenpapier-Krise scheint überstanden zu sein. Auch volle Nudel-, Mehl- und Hefefächer im Supermarkt sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. Viele Baustellen laufen weiter, fast wie gewohnt, nur das mit den Abstands- und Desinfektionsregeln gilt natürlich auch hier. Trotzdem beherrscht das Corona-Virus unseren Alltag. Wir gehen mit Maske einkaufen, feiern keine ausschweifenden Geburtstagspartys mehr und haben nur noch wenig Lust, in den Urlaub zu fahren. Mit Maske an den Strand? Vielleicht später. Auch Konsumieren macht keinen Spaß mehr, ist fast schon zur Pflichtübung geworden. Wie gerne würde man über Amazon bestellen, aber die Einzelhändler in der Stadt warten auf Kundschaft. Also bewaffnen wir uns mit Mundschutz und durchstöbern Sport Schuster in München nach passenden Joggingschuhen. Fitnessstudios waren ja lange geschlosen. Lieferschwierigkeiten aus China lassen die Auswahl schrumpfen, immerhin gibt es ein Paar in Schwarz. Und die Baubranche? Wie geht´s der so? Den Messeveranstaltern geht´s nicht so gut: Die Nordbau 2020 soll unter eingeschränkten Bedingungen im September stattfinden, wenn, ja wenn das Virus mitspielt. Die Steinexpo Ende August ist auf April im nächsten Jahr verschoben und die IAA Nutzfahrzeuge und die Ifat wurden ganz abgesagt. Die Baumaschinen-Oldie-Messe „Historik“ in der Schweiz hofft ebenfalls auf ein Wiedersehen 2021.

Corona macht erfinderisch

Ja, Corona ist nicht nur schlecht, das Virus zwingt manche zu neuen Ideen. Beispiel JCB. Der britische Baumaschinenhersteller produziert statt Baumaschinen nun Beatmungsgeräte. Nach einem Anruf von Premierminister Boris Johnson war JCB Chairman Lord Bamford bereit, auf die Herstellung lebensrettender Beatmungsgeräte für schwer erkrankte Corona-Patienten umzustellen. Dazu wurde ein wegen der Pandemie vorübergehend geschlossenes Werk zügig entsprechend umgerüstet. Statt Kabinen für Bagger stellte JCB spezielle Metallgehäuse für die völlig neue Konstruktion der Beatmungstechnik von Dyson her. Bamford: „Als der Premierminister an uns herantrat, waren wir als britisches Unternehmen sofort entschlossen, zu helfen. Dieses Projekt wurde innerhalb weniger Tage vom ersten Entwurf bis zur fertigen Produktion entwickelt, und ich freue mich, dass wir in der nationalen Krise die Fähigkeiten unserer talentierten Ingenieurs- und Produktionsteams so schnell einsetzen konnten. Es handelt sich um eine globale Krise, und wir werden die Herstellung weiterer Beatmungsgeräte unterstützen, wenn diese auch in anderen Ländern der Erde benötigt werden“.

Verkehrte Welt. Auch das eigentlich auf Verschleißschutz und Anbaugeräte spezialisierte Unternehmen HS-Schoch beschreitet nun Desinfektions-Technik-Wege und bringt formschöne Desinfektionsspender auf den Markt. Oft müssten diese umständlich an die Wand montiert werden. Die Lösung: der HS Tower, eine mobile Säule für jeden handelsüblichen Desinfektionsspender. Leicht genug, um ihn mühelos aufzustellen, aber schwer genug, um nicht umzukippen.

Baustoffe sind Mangelware

Die größte Sorge, die Bauherren derzeit umtreibt, ist die Frage: „Bekommen wir Baustoffe?“ Schon am Anfang der Krise berichteten uns Baustoffproduzenten von vollen Auftragsbüchern, manche können sich vor Aufträgen kaum retten. Diesen Trend bestätigt auch der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg: „Kies- und Sandproduzenten am Oberrhein müssen derzeit ein besonderes Maß an Einfallsreichtum entwickeln, um ihre Betriebe nicht nur wie gewohnt am Laufen zu halten, sondern die aktuell besonders hohe Nachfrage zu decken“, berichtet ISTE-Hauptgeschäftsführer Thomas Beißwenger. „Vorsorgliche Quarantäne-Fälle – auch in anderen Unternehmen im Land – erschweren manchmal die Situation zusätzlich. Trotzdem wollen alle lieferfähig bleiben, weil dies sonst Auswirkungen auf Baustellen in ganz Baden-Württemberg zur Folge hätte.“ Nicht das Virus sei das eigentliche Problem für den möglichen Lieferengpass. Beißwenger hat insbesondere sich über viele Jahre hinziehende Genehmigungsverfahren bei Erweiterungen oder Neuaufschlüssen im Blick: „Es geht nicht an, dass Politiker die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung heimischer Rohstoffe und unserer Branche immer wieder betonen, unseren Unternehmen vor Ort aber das Leben schwer gemacht wird, wenn es um weitere Abbaumöglichkeiten geht. Jeder befürwortet kurze Transportwege, aber niemand will eine Abbaustätte in seiner Nähe. Das ist heuchlerisch!“ Der Diplombiologe Beißwenger weiter: „Rohstoffabbau ist immer nur ein landschaftlicher Eingriff auf Zeit. Unsere Unternehmen hinlassen nach Ende der Abbautätigkeiten keine verbrannte Erde, sondern naturnahe Flächen und Biotope, wie sie ansonsten kaum mehr zu finden sind.“

Erst geschmäht – jetzt systemrelevant

Baustoffe sind gefragt wie nie. Macht das Virus Steinbrüche und Kieswerke plötzlich systemrelevant? Die Vermutung liegt nahe, wenn man sich das Beispiel der Wilhelm Bohnert GmbH & Co. KG (Wibo) anschaut. Als Wibo-Geschäftsführer Sebastian Striebel Anfang April die Zeitung aufschlug, las er eine Nachricht mit besonderer Aufmerksamkeit: Am Flughafen Stuttgart soll der östliche Teil der Piste schnell und bevorzugt ausgebaut werden. Striebel freute sich, weil seine Firma die Baustelle mit dem dafür nötigen Material versorgen wird. Das Unternehmen aus dem nordbadischen Ottenhöfen liefert die Zuschlagstoffe für den hochwertigen Waschbeton, mit dem Fahrbahnen höchster Belastungsklassen oder eben Start- und Landebahnen gebaut werden. Wibo ist in Baden-Württemberg das einzige Unternehmen, welches diese Gesteinskörnungen aus Quarzporphyr anbieten kann. Doch dann kamen Sebastian Striebel Zweifel. Denn eines war ihm klar: Wenn in seinem Werk in Ottenhöfen ein Maschinendefekt aufträte, stünde in Stuttgart die Baustelle erst einmal still. Dann würde es auch nichts nützen, dass der Baukonzern Strabag dort mobile Betonwerke errichtet und drei Großfertiger aus dem Autobahnbau einsatzbereit hielt. „In diesem Moment wurde mir deutlicher denn je, dass wir als Rohstoff produzierendes Unternehmen systemrelevant sind“, sagt Striebel. „Unseren Quarzporphyr benötigt man für höchstbelastete Strecken: als Gleisschotter, als Zuschlagstoff für Autobahnbeton oder wie jetzt in Stuttgart für Start- und Landebahnen. Wir sind eine von nur 25 Gewinnungsstätten in ganz Deutschland, die solch eine Qualität liefern kann. In Baden-Württemberg sind wir die einzige.“ Was die Flughafen-Baustelle angehe, befinde sich der geographisch nächstgelegene Lieferant im Frankfurter Raum. Striebel: „Aber der hat kein Material übrig, weil er natürlich seine Region bedient.“

Die öffentliche Hand beschleunigt gerade jetzt in der Corona-Krise das Tempo bei bestimmten Großprojekten. Beißwenger: „Es ist ja vernünftig und lobenswert, dass in einer Zeit krisenbedingt geringer Verkehrsdichte Autobahnerneuerungen vorgezogen werden, oder dass die Stuttgarter Piste saniert wird, wenn der Flughafen ohne größere Umstände geschlossen werden kann. Es ist auch schön, wenn Politiker die Bauwirtschaft zum möglichen Konjunkturmotor erklären, der helfen soll, die Wirtschaft wieder zu beleben. Aber diesen Motor muss man dann auch pflegen, und man muss ihm vor allem Treibstoff geben!“ Solcher Treibstoff ist abbaubares Gestein. Viele Gewinnungsstätten in Deutschland und in Baden-Württemberg sehen das Ende ihrer genehmigten Abbaukapazitäten kommen. Sie bemühen sich um Erweiterungen. Sebastian Striebel auch. Und genau da liegt sein Dilemma: „Öffentliche Auftraggeber reißen sich um unseren Quarzporphyr, den wir über unseren Bahnanschluss umweltfreundlich anliefern können. Und andererseits müssen wir gegen größte Widerstände in öffentlichen Verwaltungen und Behörden kämpfen. Das passt doch nicht zusammen!“ Sebastian Striebels Unternehmen ist gesund – auch in diesen Krisenzeiten. Wibo bemüht sich nicht um Hilfen der öffentlichen Hand. Man hat inzwischen ein Konzept erarbeitet, welches im Abbaugebiet neue Lebensräume für Tierarten wie Gelbbauchunke, Uhu, Wanderfalke oder Kolkrabe unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten entwickelt. Von seiner Seite, so sagt Striebel, habe er alles getan, was Abbau- und Renaturierungsplanung angeht. In den kommenden Wochen wolle er den endgültigen Antrag auf Erweiterung seines Steinbruchs einreichen: „Dann bin ich mal gespannt!“ Zu dieser Zeit wird die Pistensanierung am Stuttgarter Flughafen schon beendet sein. Mit Quarzporphyr aus Ottenhöfen…

Hoffnungsschimmer vom VDMA

Mit anderen Problemen haben die Baumaschinenhersteller zu kämpfen. In einer gemeinsamen (corona-sicheren) Video-Pressekonferenz von VDMA Baumaschinen und Baustoffanlagen und Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) äußerten sich die Vertreter beider Verbände zu den wirtschaftlichen Konsequenzen und Erwartungen angesichts der Covid-19 Pandemie.

Die Baumaschinenbranche rechnet mit einem Umsatzrückgang von 10 bis 30 % zum Jahresende. Das ist einschneidend, aber bei weitem nicht so dramatisch wie in den Jahren 2008 und 2009. Die Bauindustrie erwartet bei allen Einschränkungen, die derzeit bei der Aussagekraft einer Prognose gemacht werden müssen, für das Bauhauptgewerbe im Jahr 2020 aktuell eine nominale Stagnation des baugewerblichen Umsatzes. Negative Tendenzen zeigten sich bereits Ende März in den Ergebnissen der zweiten VDMA-Blitzumfrage zur Corona Krise. 57 % der Unternehmen, die aus dem Baumaschinen- und Baustoffanlagenbereich teilnahmen, gaben an, dass sie signifikante oder starke Rückgänge beim Auftragseingang hinnehmen mussten. In der im April darauf folgenden Runde waren es bereits
72 %. Bemerkenswert ist, dass es kaum Stornierungen von Aufträgen gab, sondern mehrheitlich fehlende neue Bestellungen. Störungen in der Lieferkette blieben weitestgehend stabil, von Ende März bis Mitte April waren diese sogar leicht rückläufig. (Joachim Mahrholdt / Ute Schroeter)  

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