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Energieversorgung 12. September 2023

„Energie- und Wärmewende – Wir müssen alle Fäden zusammenführen!“

Gebäudeenergiegesetz, Energie- und Wärmewende: Im Interview äußern sich der Präsident des Rohrleitungsbauverbandes e. V., Dr. Ralph Donath, und rbv-Hauptgeschäftsführer Dipl.-Wirtsch.-Ing. Dieter Hesselmann zu einer nach Einschätzung des Leitungsbaus vernünftigen Energie-Roadmap der Zukunft.

Energie- und Wärmewende – rbv-Präsident Dr. Ralph Donath und rbv-Hauptgeschäftsführer Dipl.-Wirtsch.-Ing. Dieter Hesselmann sprechen im Interview über eine technisch und wirtschaftlich tragfähige Energie-Roadmap der Zukunft.
Energie- und Wärmewende – rbv-Präsident Dr. Ralph Donath und rbv-Hauptgeschäftsführer Dipl.-Wirtsch.-Ing. Dieter Hesselmann sprechen im Interview über eine technisch und wirtschaftlich tragfähige Energie-Roadmap der Zukunft.

Der Bundestag hat die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) nun verabschiedet. Doch wie kann die Energie- und Wärmewende gelingen? Sicherlich nur dadurch, dass alle für eine nachhaltige Dekarbonisierung zur Verfügung stehenden Transformationspfade zu einem strategischen Gesamtkonzept verschmolzen werden.

Die Zukunft der Gasinfrastrukturen, die ersten Entwürfe des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) und des Wärmeplanungsgesetzes (WPG): Der Leitungsbau war in den vergangenen Monaten nicht immer glücklich über die geplanten Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung.

Donath: Nicht immer glücklich ist wahrscheinlich die Untertreibung des Jahrhunderts. Für kaum ein Thema hat sich unsere Branche in der letzten Zeit so intensiv engagiert wie für eine pragmatische und besonnene Dekarbonisierung der Energie- und Wärmeversorgung. Eine erfolgreiche Minderung der Treibhausgasemissionen – so das klare Statement des Leitungsbaus – kann nur sektorenübergreifend und unter Berücksichtigung aller relevanten energie- und volkswirtschaftlichen Optionen erfolgen. Von daher hat uns das politische Agenda-Setting teilweise irritiert, um nicht zu sagen entsetzt, da es jeden technischen Sachverstand vermissen ließ.

Würden Sie das konkretisieren?

Donath: Unsinnige politische Stilblüten wie etwa die Forderung nach einem Rückbau der unterirdischen Gasinfrastrukturen hierzulande und – Stichwort Wärmepumpe – deren Substitution durch „All-Electric-Solutions“ wurden der Komplexität der Materie nicht annähernd gerecht. Politischen Entscheidern war offensichtlich nicht klar, dass es technisch und kapazitiv ausgeschlossen ist, das Stromnetz in kürzester Zeit so stark auszubauen, dass die Ziele der Energiewende komplett über dieses Netz erreicht werden könnten. Die Sicherstellung einer aktuell durch die Gasnetze vorhandenen Grundlast von rund 250 Gigawatt kann nicht über ein Stromsystem mit einer Spitzenlast von 80 Gigawatt abgebildet werden. Deshalb haben wir immer wieder darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, nicht monodirektional zu planen und zu handeln, sondern technologieoffen alle Transformationsoptionen zu berücksichtigen. Und hierzu zählt es eben auch, grünen Wasserstoff und klimaneutrale Gase als Energieträger der Zukunft auf die Agenda zu setzen und leitungsgebundene Infrastrukturen nicht zurückzubauen, sondern sie zu erhalten und H2-ready zu machen. Wir brauchen molekularbasierte grüne Gasinfrastrukturen an der Seite der Elektrifizierung des Wärmesektors! Diese gilt es im Kontext einer Kommunalen Wärmeplanung, von der in diesen Tagen im Zusammenhang mit der Abstimmung über das WPG so viel zu hören und zu lesen ist, als einen Baustein mit zu berücksichtigen.

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Das Bundeskabinett hat Mitte August den Gesetzentwurf für das WPG verabschiedet. Die Abstimmung über das modifizierte GEG steht ebenfalls bevor. Wurden die Verbesserungsvorschläge des Leitungsbaus gehört und verstanden?

Hesselmann: Tatsächlich hat das intensive Engagement unserer Branche Wirkung gezeigt. Dieses Thema war für den Leitungsbau und die Bauindustrie von so hoher Relevanz, dass alle Verbände und Organisationen zielgerichtet zusammengearbeitet haben, um nicht zuletzt für die Menschen hierzulande eine an den Grundsätzen von Klimaneutralität, Machbarkeit, aber eben auch Bezahlbarkeit orientierte Lösung zu finden. Nicht nur der stete Tropfen höhlt also offensichtlich den Stein. Genauso wichtig ist es, mit einer Stimme zu sprechen, um eine Veränderung zu erzielen. Und das haben wir. Wir sind dem Ziel einer technisch machbaren, generationengerechten und sozialverträglichen Wärmewende in diesem Sommer nähergekommen. Die Modifikationen, die am Entwurf des GEG vorgenommen wurden, berücksichtigen nun gleichermaßen Wasserstoff und die Nutzung klimaneutraler Gase für den Wärmemarkt als Energieträger. Und auch das WPG nimmt im Rahmen der von Dr. Donath schon angesprochenen Kommunalen Wärmeplanung darüber hinaus Geothermie, Nah- und Fernwärmenetze sowie weitere Technologiepfade als entscheidende Bestandteile einer integrierten Netzplanung und für das Erreichen der Klimaschutzziele in den Blick. Eine dezidierte Analyse der regionalen kommunalen Ausgangssituation ist an dieser Stelle deshalb so entscheidend, weil Deutschland in seiner geologischen Beschaffenheit und wirtschaftlichen Infrastruktur sehr heterogen ist – auch innerhalb von kommunalen Gebieten. Von daher sollte eine sinnvolle, ressourcenschonende Wärmeplanung in erster Linie auf kommunaler Ebene stattfinden. Dies war unter anderem ein Thema, für das sich Dr. Donath mit Nachdruck Mitte Juni beim Fernwärmegipfel der Bundesregierung stark gemacht hat.

Donath: Es war eine durchaus interessante Erfahrung, mit unserem Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Dr. Robert Habeck, und weiteren relevanten Entscheidern an einem Tisch zu sitzen. Nach meiner Einschätzung ist es uns im Kreise der anwesenden Verbändevertreter sehr gut gelungen, den politischen Wissenshorizont für die Notwendigkeit einer integrierten konzeptuellen Herangehensweise zu sensibilisieren, hoffnungsvollerweise gar zu erweitern. Wir haben darüber aufgeklärt, dass Wärmenetze eine weitere flexible und auch klimaneutrale Lösung für die Wärmeversorgung von Kommunen oder Stadtquartieren sein können. Denn sie ermöglichen es, den Wärmebedarf ohne Neuinstallation einer Einzelheizung aus zentralen, zukünftig erneuerbaren Quellen zu decken. Zudem können sie verschiedene erneuerbare Energiequellen und unvermeidbare Abwärme in die Wärmeversorgung integrieren und besonders effizient die Nutzung von Strom und Wärme miteinander verbinden. Sie sind damit besonders geeignet für eine schrittweise und sozialverträgliche Transformation.

Und all das hat Eingang gefunden in das WPG?

Hesselmann: Teils, teils. Viele Anregungen aus den Reihen des Leitungsbaus wurden aufgegriffen. Das ist eine gute Entwicklung für die Menschen in Deutschland. Gerade vor dem Hintergrund, dass das WPG und das noch in parlamentarischer Beratung befindliche GEG gekoppelt sind und es nun abgestimmte Fristen und damit mehr Planungssicherheit für Gebäudeeigentümer gibt. Grundsätzlich begrüßen wir die Anstrengung, eine Rahmengesetzgebung zu verabschieden, die eine Chancengleichheit hinsichtlich der Technologieoffenheit von Strom aus erneuerbaren Energiequellen, klimaneutraler Wärme und klimaneutraler Gase adressiert. Dies befähigt die Kommunen, die für sie beste Wahl aus klimaneutralen Wärmequellen zu treffen. Auch das gut ausgebaute deutsche Gasnetz können die Kommunen mittels Transformation und entsprechend der vorherrschenden kommunalen Rahmenbedingungen jetzt sicher in die Planung einbeziehen.

Welche Leitplanken wurden konkret im WPG definiert?

Hesselmann: Großstädte ab 100.000 Einwohnern müssen bis Ende Juli 2026 eine kommunale Wärmeplanung verabschiedet haben, kleinere Städte und Gemeinden bis Juli 2028. Für Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohnern sollen lockerere Vorgaben gelten; kleine benachbarte Gemeindegebiete dürfen dabei zusammenarbeiten. Der Bund fördert die Erstellung der Pläne mit 500 Millionen Euro. Ein Wermutstropfen an dieser Stelle besteht allerdings darin, dass die konkreten Regelungen Wasserstoffnetze und die Nutzung von grünen Gasen wie Wasserstoff und Biomethan gegenüber Strom- und Wärmenetzen weiterhin strukturell benachteiligen. Hier besteht aus Sicht unserer Branche der dringende Bedarf einer Nachjustierung. Zudem erscheint uns die geplante Fördersumme mit Blick auf die Größe der Aufgabe eher gering. Hinzukommt, dass die Kommunen unter starkem Druck stehen, die sehr knappen Fristen einzuhalten. Alles in allem also noch keine zufriedenstellende Gesamtsituation.

Also bleibt noch einiges zu tun?

Donath: Das ist genau der Punkt. Bei allem Erreichten, liegt noch ein langer Weg vor uns, bevor wir uns entspannt zurücklehnen und sodann auf die für alle Beteiligten zufriedenstellende Roadmap einer zukunftsfähigen und generationengerechten Dekarbonisierung unseres Energiesystems blicken können. Hier möchte ich noch einige wesentliche Aspekte ansprechen. Ein erster Schritt zu mehr Planungssicherheit im Rahmen der Kommunalen Wärmeplanung bei gleichzeitig größtmöglicher Planungsfreiheit für die Kommunen ist nun getan. Das reicht aber noch nicht und erst recht nicht in der nun vor uns allen liegenden Orientierungsphase. Nur auf Basis gut strukturierter Agenden und verlässlicher Rahmenbedingungen werden alle Akteure des Leitungsbaus – Auftraggeber wie Auftragnehmer – sich langfristig unternehmerisch so positionieren können, dass die nun anstehenden To-dos seriös und auf dem von uns allen gewünschten Qualitätsniveau umgesetzt werden.

Und das Thema Wasserstoff ist immer noch ein besonderer „Pain-Point“?

Donath: Ja, vollkommen richtig. Die von Dieter Hesselmann bereits angesprochene strukturelle Benachteiligung von Wasserstoffnetzen ist nicht zielführend und droht, eine unserer wichtigsten Game-Changer-Optionen beim Klimaschutz zu verspielen. Deshalb sehen wir die Politik mehr denn je in der Pflicht, diesen Netzen den Stellenwert zu widmen, den sie verdienen. Es herrscht mittlerweile bei vielen Experten Konsens darüber, dass unter Berücksichtigung aller global verfügbaren Importmöglichkeiten Wasserstoff zeitnah wirtschaftlich als ein klimafreundlicher Energieträger zum Einsatz gebracht werden kann. Hierfür müssen politische Entscheider aber zielorientiert darauf hinarbeiten, richtungsweisende Weichenstellungen vorzunehmen, um Investitionshemmnisse zu beseitigen und den Markthochlauf von Wasserstoff zu beschleunigen. Eine gute Entwicklung ist sicherlich die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie Ende Juli. Diese Weiterentwicklung folgt dem gesteigerten Anspruch im Klimaschutz und den neuen Herausforderungen am Energiemarkt. Darüber hinaus werden in der überarbeiteten Fassung endlich Impulse für den Aufbau einer nationalen Wasserstoffwirtschaft gesetzt und strategische Ansätze einer Importstrategie für Wasserstoff formuliert. Das ist immerhin ein Anfang, reicht aber nach unserer Einschätzung noch nicht. Denn ohne den Aus- und Umbau der notwendigen Infrastruktur wird der Wasserstoffhochlauf kaum an Fahrt aufnehmen. Folglich gilt es, sowohl auf der Transport- als auch auf der Gasnetzverteilebene realitätskonforme Rahmenbedingungen zu schaffen. In Vorleistung sind die Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) gegangen. Diese haben Mitte Juli den Planungsstand für ein überregionales Wasserstoff-Kernnetz bis zum Jahr 2032 veröffentlicht. Dies ist ein wichtiges Signal für Investitionen in diesem Bereich. Aber auch auf der Verteilnetzebene muss es nun vorangehen. Hier fehlt nach unserer Einschätzung derzeit immer noch ein handfester politischer Startschuss für die Realisierung einer forcierten H2-Readiness. Die Kommunale Wärmeplanung bietet nun grundsätzlich die Möglichkeit, gemeinsam kluge Lösungen auf Basis aller zur Verfügung stehenden Technologien zu entwickeln. Diese Chance gilt es zu ergreifen. Um ein beliebtes Bild zu bedienen: Nun stehen alle Spieler auf dem Platz, das Spiel ist angepfiffen und wir sollten es jetzt auch nach Hause bringen und den bestmöglichen, weil den regionalen energetischen Verhältnissen angepassten Masterplan umsetzen. Der Leitungsbau steht mit seinem Engagement, seinem baulichen Know-how und Sachverstand sehr gerne zur Verfügung. Gerne möchten wir im partnerschaftlichen Miteinander gemeinsam mit unseren Auftraggebern daran mitarbeiten, die besten, regional abgestimmten energetischen Konzepte zu planen und umzusetzen. Wir freuen uns auf diese Aufgabe. Und – lassen Sie mich das ganz unbescheiden betonen – ohne uns Leitungsbauer wird diese große Herausforderung nicht zu bewältigen sein. Das ist meine feste Überzeugung! (HS/RED)

Im Rahmen einer tragfähigen Kommunalen Wärmeplanung müssen Wasserstoffnetze, Nah- und Fernwärmenetze, Photovoltaik, Geothermie und alle klimafreundlichen Technologiepfade Bestandteile einer integrierten Netzplanung sein, um die definierten Klimaschutzziele zu erreichen.
Im Rahmen einer tragfähigen Kommunalen Wärmeplanung müssen Wasserstoffnetze, Nah- und Fernwärmenetze, Photovoltaik, Geothermie und alle klimafreundlichen Technologiepfade Bestandteile einer integrierten Netzplanung sein, um die definierten Klimaschutzziele zu erreichen.
Kommunale Wärmeplanung – Eine Analyse der kommunalen Ausgangssituation ist entscheidend, weil Deutschland in seiner geologischen Beschaffenheit und wirtschaftlichen Infrastruktur sehr heterogen ist. Für die Schaffung klimafreundlicher Quartiere sollte daher eine sinnvolle, ressourcenschonende Wärmeplanung in erster Linie auf kommunaler Ebene stattfinden.
Kommunale Wärmeplanung – Eine Analyse der kommunalen Ausgangssituation ist entscheidend, weil Deutschland in seiner geologischen Beschaffenheit und wirtschaftlichen Infrastruktur sehr heterogen ist. Für die Schaffung klimafreundlicher Quartiere sollte daher eine sinnvolle, ressourcenschonende Wärmeplanung in erster Linie auf kommunaler Ebene stattfinden.

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