Digitales Training: Knacken wir den Highscore für den Steinbruch?
„Baggerfahren – das kriege ich hin“, dachte sich auch unsere Autorin der Redaktion „Steinbruch & Sandgrube“. Zum Glück kann in der virtuellen Welt nichts und niemand zu Schaden kommen.
Es hupt einmal, es hupt ein zweites Mal – dieses Mal etwas länger. Vermutlich ein Signal. Ich kneife meine Augen zusammen, lehne mich nach vorne, schiebe meine Zunge leicht heraus und fahre so lange hin und her, bis ich das Gefühl habe, dass mein Muldenkipper korrekt in der Markierung steht. Die Farbe auf meinem Bildschirm wechselt von rot zu grün. Zufrieden blicke ich nach rechts.
Neben mir steht grinsend Hicham Neal-Raad. Er ist seit fünf Jahren Trainer der Driving Academy beim Baumaschinenhersteller Komatsu in Hannover. „Wow, ein echtes Naturtalent haben wir hier“, schmeichelt er mir mit einem Augenzwinkern. Hier kommt sein Charme als Verkäufer durch. Denn als solcher ist er bei Komatsu ebenfalls tätig. Aber das Rückwärtssetzen und Zusammenspiel mit dem Radlader gehe noch besser, erklärt er. Schließlich habe mir der Radlader bereits ein Zeichen gegeben, dass er meinen Muldenkipper beladen könne. Das Hupen fällt mir wieder ein. Mist.
Baumaschinenführerschein nach DGUV
Und genau hier setzt die Driving Academy an – ein Training an Simulatoren für verschiedene Großgeräte. Ich selbst übe mit einem typisch gelben Muldenkipper, so wie dieser auch in vielen Steinbrüchen zu finden ist. Konkret ist es bei Komatsu der HD605-8. Ich sitze in einem Fahrersitz auf einem Podest und um mich herum sind diverse Hebel und Schalter. Obwohl eigentlich bis zu 5 Bildschirme möglich sind, befindet sich vor mir nur ein großer. Insgesamt ist das ganze System modular aufgebaut. So kann sich mein Muldenkipper durch den Austausch einiger Hebel und Knöpfe in einen Radlader oder Mobilbagger verwandeln.
In wenigen Stunden soll ich nun können, was vielen erfahrenen Fahrern noch schwerfällt. „Fast alle können Baumaschinen fahren. Aber wer kann es richtig?“ sagt Hicham Neal-Raad. Einen offiziellen Führerschein zum Bedienen der Maschinen auf der Baustelle oder im Steinbruch gibt es in Deutschland nicht. In Kursen der Driving Academy kann aber dennoch ein Baumaschinenführerschein erworben werden. Dieser entspricht den Normen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) 100-500 sowie der DGUV 301-005. Hier steht geschrieben, wie Fahrer und Fahrerinnen von Hydraulikbaggern und Radladern angeleitet werden sollen, damit sie sich qualifizieren und die Arbeitsmittel korrekt betreiben können.
Im virtuellen Steinbruch mache ich mich nun mit meinem voll beladenen Muldenkipper auf den Weg zur Abladestelle. Neben mir türmen sich immer wieder Gesteinshaufen. Grau, soweit das Auge reicht. 11 % Steigung muss ich mit dem 60 t schweren Fahrzeug bewältigen, um an den Zielort auf der höheren Sohle zu gelangen. Mein Sitz neigt sich nach hinten, das Podest unter mir schüttelt meinen Körper durch, ich gebe Vollgas. Das Gewicht des Fahrzeugs zieht mich förmlich nach hinten. „Bloß nicht wieder rückwärts runterrollen“, denke ich. Besorgt schaue ich auf den Tacho: 7 km/h. Mehr ist nicht drin, aber immerhin vorwärts und aufwärts.
Protokolliertes Fahren
Endlich oben angekommen, kommt mein Sitz samt Körper wieder in die Waagerechte. Ich beschleunige den Muldenkipper auf 20 km/h und fahre zur Abladestelle. Als mein Dumper an der richtigen Position steht, betätige ich den Schalter für das Abkippen meiner Ladung. Prompt ploppt am oberen rechten Bildschirmrand eine Fehlermeldung auf. Ich hatte vergessen, die Feststellbremse zu betätigen. Schon wieder… Mist!
Alle meine Fahr- und Verhaltensweisen werden in einem Protokoll gesammelt. Am Ende des virtuellen Trainings erhalte ich dann Punkte und ein Fahrerprofil. Hier wird festgehalten, ob ich mich an die notwendigen Verkehrsregeln halte und ob ich die Maschine korrekt bediene. Je nach Ergebnis überreicht mir Hicham Neal-Raad vielleicht einen der Baumaschinenführerscheine oder verdonnert mich zu mehr Training.
Neben der notwendigen Sicherheit beim Fahren der Großgeräte geht es Hicham Neal-Raad und seinen Kollegen aber auch um Effizienz – deswegen lohne sich das Training auch für erfahrene Fahrer. „Die Maschinen werden immer komplexer, die Einsatzbedingungen immer schwieriger. Immer mehr Knöpfe, immer mehr Monitore, immer mehr digitale Systeme und Einstellmöglichkeiten sollen das Fahren optimieren“, sagt der Trainer. Aber diese ganzen Knöpfe muss man erstmal bedienen können, wie ich feststelle. So sitze ich am Anfang doch ziemlich überfordert im Simulator. An das optimale Fahren meines Muldenkippers denke ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Aber: „Eine effiziente Fahrweise ist bares Geld wert“, weiß Hicham Neal-Raad. So sollen Fahrer und Fahrerinnen nach einem etwa dreitägigen Training wesentlich seltener einen Halt bei der Tankstelle einlegen müssen. Insgesamt können im Anschluss 7 bis 18 % Sprit eingespart werden, erklärt der Trainer.
Training zum Ausleihen
In meiner ersten Simulationsrunde fahre ich mit meinem leeren Dumper zur unteren Sohle des Steinbruchs. Nach dem nächsten Felsen biege ich nach links ab. Der Weg führt wie auf einer Rampe nach unten. Es gilt eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 10 km/h. Ich halte mich artig daran. Von der Seite ruft aber Hicham Neal-Raad: „Drück mal durch und probier‘ die Maschine aus.“ Gesagt, getan, habe ich schnell 70 Sachen auf dem Tacho. Mein Sitz schüttelt mich durch und neigt sich nach vorne. Unten angekommen, bleibt mir nicht viel Strecke zum Bremsen. Ich gehe in die Eisen und muss den Muldenkipper in eine Kurve lenken, um nicht gegen die Wand zu fahren – der Simulator rumpelt heftig und geht ruckartig von links nach rechts. Obwohl ich weiß, dass alles nicht echt ist, rast mein Herz. Gleichzeitig fange ich laut an zu lachen.
Die Simulatoren übertragen erstaunlich genau die Begebenheiten und Maschineneigenschaften in einem Steinbruch – Stock und Stein sowie Drehungen der Maschine sind deutlich spürbar. „Jetzt hast du gespürt, wie es sich anfühlt, beinahe eine solche Großmaschine auf die Seite zu legen. Das ist aber ein Spaß, der nur im Simulator ausprobiert werden sollte“, so Hicham Neal-Raad. In der Tat wäre ein solches Manöver der Geschwindigkeitsübertretung im Steinbruch eine Katastrophe. Deswegen sollte eine solch spaßige Grenzerfahrung nur im virtuellen Raum stattfinden.
Die Kosten für einen Simulator liegen zwischen 80.000 und 300.000 €. Aber Hicham Neal-Raad erzählt, dass nicht unbedingt ein Kaufwunsch bei den Kunden in Deutschland vorhanden sei. Vielmehr bestehe das Interesse, die Simulatoren auszuleihen. Deswegen fährt er regelmäßig mit einem Truck, in dem zurzeit drei Simulatoren verbaut sind, von Steinbruch zu Steinbruch, von Baustelle zu Baustelle. Die Leihkosten für den Übungstruck liegen bei 800 € pro Woche – exklusive Transport.
Leider unachtsam
Und in eben diesem Truck erhalte ich nach knapp 30 Minuten Fahrsimulation mein erstes Sicherheitsprofil. Das Ergebnis: unachtsame Fahrerin. Alle meine Sicherheitsverstöße sehe ich knallhart aufgelistet: 4x Feststellbremse beim Beladen nicht angelegt, 5x Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten, irgendwas mit einem zu hohen Beschleunigungswert sowie diverse Missachtungen von Warnsignalen per Hupen. Hicham Neal-Raad lacht: „Tja, wer nicht einen gewissen Highscore erreicht, darf in meinem Training nicht an die realen Maschinen.“ Punkte für meine Fahrweise habe ich leider keine gesammelt. Von wegen „Naturtalent“ – das Kompliment hat mein Trainer schon längst wieder vergessen. Ich müsste wohl noch ein paar Stunden üben, bevor ich mit meinem Highscore in den Steinbruch darf.
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