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Archiv 4. Oktober 2016

Verkehrsunfälle gehören ins Museum

Neue Antriebskonzepte, niedrigerer Verbrauch und mehr Sicherheit - 332 Welt- und über 100 Europapremieren haben die die Hersteller auf der diesjährigen IAA Nutzfahrzeuge präsentiert.

Die weltgrößte Nutzfahrzeugschau war mit 2.013 Ausstellern aus 52 Ländern größer als je zuvor. „Die Nutzfahrzeuge fahren den Pkw deutlich voran“, sagte Moderatorin Nina Ruge bei der Eröffnungsfeier. Tatsächlich haben die Brummis den Pkw beim Schadstoffausstoß seit Einführung der Abgasnorm Euro VI überholt und im April rollte ein Platoon über deutsche Straßen. Das Steuerungssystem ermöglicht Lkw, bei voller Verkehrssicherheit sehr dicht hintereinander fahren.

Zustimmung zum Lang-Lkw

Vor allem aufgrund des zunehmenden Lieferverkehrs werden die Straßen immer voller. Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), dem Veranstalter der IAA, nannte dazu eine eindrucksvolle Zahl: „Der E-Commerce-Umsatz ist seit dem Jahr 2000 um das 17-fache gestiegen.“ Der VDA plädiert seit Jahren für den Einsatz von Lang-Lkw und auch Stefan Weil, immerhin Ministerpräsident eines rot-grün geführten Bundeslandes, äußerte sich sehr positiv über die Feldversuche, an denen sich Niedersachsen beteiligt hatte. „Das ist ein Modell, das uns zum Güterverkehr der Zukunft vorschwebt“, so Weil.

„Driven by ideas“ – angetrieben von Ideen, lautete das Motto der Messe, die vom 22. bis 29. September in Hannover stattgefunden hat. Damit sich die guten Ideen aber umsetzen lassen, braucht es verbesserte Rahmenbedingungen. Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, erläuterte Hürden auf dem Weg zum Nutzfahrzeug 4.0: „Wenn ein Renault-Lkw von München nach Bratislava fährt, dann könnten drei verschiedene Datenrechte kollidieren.“ Zu klären sei die Frage, wem die Daten eigentlich gehören. Für Oettinger gibt es diesbezüglich nur eine Lösung: „Wir brauchen mehr Europa, weniger Nationalismus und weniger Populismus.“ Einen Schritt davor setzte Dr. Wolfgang Bernhard, Mitglied des Vorstands der Daimler AG an: „Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, damit Lkw verschiedener Hersteller miteinander kommunizieren können.“

Auch Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, will die Vernetzung der Nutzfahrzeuge vorantreiben. Während der Messe hat sein Ministerium ein Strategiepapier zum Ausbau des Mobilfunknetzes veröffentlicht. Darin heißt es: „Wir wollen, dass Deutschland zum Leitmarkt für 5G wird und als erstes Land ein flächendeckendes 5G-Netz bereitstellt.“ Bis spätestens 2025 sollen alle Hauptverkehrswege und mindestens die 20 größten Städte in Deutschland mit 5G ausgestattet sein. Dies dürfte dem automatisierten und vernetzten Fahren einen deutlichen Schub geben.

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Die Null muss stehen

Die Null muss stehen, heißt es im Fußball. Auch auf der IAA war das Wort Zero, also Null, allgegenwärtig. „Zero emission, zero accident, das ist unsere Vision“, sagte Dr. Stefan Sommer, CEO von ZF. Das Unternehmen setzt zum einen auf Hybrid- oder rein elektrische Antriebe, zum anderen wurde der gemeinsam mit Wabco entwickelte Evasive Maneuver Assist (EMA) vorgestellt. EMA lenkt Sattelzüge automatisiert und fahrstabil an Gefahrenstellen vorbei und trägt so dazu bei, Auffahrunfälle zu verhindern.

„Verkehrsunfälle gehören ins Museum“, sagte Dr. Elmar Degenhart, Vorstandsvorsitzender von Continental. Zum Erreichen der „Vision Zero“ setzt das Unternehmen auf den hochauflösenden Fernbereichsradar (Advanced Radar Sensor). Er hat eine Sensorreichweite von 250 m, unterscheidet zwischen festen und bewegten Objekten. Droht Gefahr, wird der Fahrer gewarnt. Sollte dieser nicht reagieren, wird eine automatische Bremsung eingeleitet.

Iveco hat mit dem Zero Truck ein vollständig umweltneutrales Nutzfahrzeug vorgestellt. Basis des neuen Konzept-Fahrzeugs ist ein mit Bio-LNG (Liquefied Natural Gas) betriebener Schwer-Lkw mit entsprechenden Tanks, verbesserter Aerodynamik und einem System zur Nutzung der Abgaswärme. Dies ermöglicht eine Reichweite von bis zu 2.200 km und dies praktisch ohne CO2-Emissionen.Daimler hat mit dem Mercedes-Benz Urban eTruck ein Fahrzeug vorgestellt, das erstmals vollelektrischen Transport bei einem zulässigen Gesamtgewicht von 26 t ermöglicht. Die Serieneinführung für den städtischen Verteilerverkehr sieht Dr. Wolfgang Bernhard Anfang des nächsten Jahrzehnts. Dann wird nach seiner Einschätzung auch die leichte Batterie vorliegen, deren Fehlen nach wie vor die Entwicklung der Elektromobilität hemmt.
Warum sollte der Strom nicht dort produziert werden, wo er gebraucht wird? Diesem Ansatz sind die Continental Automotive GmbH und das Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik CSP nun für Lkw einen Schritt näher gekommen: In Hannover wurde ein Truck mit integrierten Solarmodulen auf der Dachhaube und dem Windabweiser der Fahrerkabine gezeigt.

Runter mit dem Spritverbrauch

Volvos Concept Truck soll den Kraftstoffverbrauch um mehr als 30 % senken. „Wir haben den gesamten Sattelzug modifiziert und aerodynamisch so weit wie möglich optimiert. Beispielsweise wurden die Rückspiegel durch Kameras ersetzt. Das senkt den Luftwiderstand, sodass weniger Energie benötigt wird, um den Lkw anzutreiben“, erklärte Gesamtprojektleiter Åke Othzén. Zusätzlich ist das Konzeptfahrzeug mit neu entwickelten Reifen ausgestattet, die sich durch einen geringeren Rollwiderstand auszeichnen. Der Auflieger wiegt 2 t weniger als der Referenzauflieger.

Neues gab es auch bei Scania zu sehen, etwa den weltweit ersten Lkw mit Seitenairbags. Auch die neue Lkw-Generation, die den Kraftstoffverbrauch um bis zu 5 % reduziert, ein Hybrid-Lkw sowie ein mit LNG betriebenes Fahrzeug sorgten für einen stets gut besuchten Messestand.

Über einen Zeitraum von zwei Jahren hat Renault seine 65 K Xtrem-Fahrzeuge unter schwierigen Bedingungen erprobt - in Bergwerken, Steinbrüchen und im Holztransport. Die Ergebnisse wurden in Hannover vorgestellt: „Jetzt haben wir die Gewissheit, dass alle unsere Produkte- und Dienstleistungslösungen unseren Kunden ermöglichen, bei dieser Art von Einsatzgebiet ein beispielloses Profitabilitätsniveau zu erreichen“, erklärte Patrice Roeser, zuständiger Baufahrzeug-Produktmanager bei Renault Trucks. Immer wichtiger für die Kunden ist vor allem schnelle Hilfe im Problemfall. Darauf reagieren alle Hersteller inzwischen mit maßgeschneiderten Servicepaketen.

Bei den Live-Vorführungen auf dem Demo-Gelände begeisterten in diesem Jahr Kameras gegen den Toten Winkel, automatisches Absatteln, mitlenkende Achsen oder die Möglichkeit über das Tablet gesteuert rückwärts um die Ecke zu fahren. Wer die IAA Nutzfahrzeuge 2016 besucht hat, der konnte einen weiten Einblick in das Fahren der Zukunft erhalten.

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