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Interview 24. September 2019

Baustellen im Spannungsfeld zwischen Verkehr und Arbeitsstättenrichtlinie

Straßenbaustellen sind aufgrund ihres Eingriffs in den Verkehr immer auch eine Risikoquelle, für Verkehrsteilnehmende, aber auch für die Arbeitenden.

Die rund 1.900 Straßenwärter des Landesbetriebes Straßenbau Nordrhein-Westfalen haben einen gefährlichen Job. Statistisch gesehen stirbt jedes Jahr ein Mitarbeiter von Straßen.NRW während seines Dienstes auf der Straße. In 2018 litten die Straßenwärter auf den Autobahnen, Bundes- und Landesstraßen bis jetzt unter vier fremdverschuldeten Unfällen mit Personenschaden bei fünf Beschäftigten. Ein Unfall mit tödlichem Ausgang für einen Beschäftigten von Straßen.NRW ereignete sich nicht.

„Personenschaden", das hört sich nach Versicherungsmathematik an, dahinter stecken aber Schicksale: Es sind Menschen, die oft wochen- oder monatelang aus dem Arbeits- und dem Familienleben herausgerissen werden und manchmal ihr Leben lang an den Folgen leiden.

Insgesamt wurden in NRW seit 1993 rund 510 fremdverschuldete Unfälle mit Personenschaden von der Abteilung Arbeitssicherheit bei Straßen.NRW registriert. Fast noch einmal so viele Unfälle verliefen mit Sachschäden. Die schwersten Unfälle werden auf Autobahnen durch unaufmerksame Fahrer verursacht. Die Beschäftigten erlitten teils schwere Prellungen, Frakturen, oder Schocks. 19 Beschäftigte von Straßen.NRW kamen bei diesen Unfällen ums Leben. Das Risiko eines Straßenwärters bei einem Arbeitsunfall ums Leben zu kommen, ist 13 Mal höher als in der gewerblichen Wirtschaft.

Seit Dezember 2018 gilt eine neue Arbeitsstättenrichtlinie (ASR), die den Bewegungsraum innerhalb der Baustelle, sondern auch den Sicherheitsabstand zum fließenden Verkehr neu regelt. Dabei nimmt die „ASR A5.2" den Arbeitsschutz stärker als bislang in den Fokus. Das bedeutet, dass Straßen unter Umständen öfter gesperrt werden müssen, wenn gebaut wird.

André Paul, Experte für Verkehrssicherheit bei Straßen.NRW, erläutert im Interview die Hintergründe.

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Herr Paul, die ASR A5.2 ist seit Dezember 2018 in Kraft. Um was geht es hier genau?

André Paul: Die Arbeitsstättenregel A5.2 schützt die Beschäftigten auf Baustellen vor Gefährdungen durch den fließenden Verkehr im Grenzbereich zum Straßenverkehr. Das bedeutet vor allem, dass sie eine Mindestbreite sowie einen geschwindigkeitsabhängigen Sicherheitsabstand zu den vorbeifahrenden Fahrzeugen definiert.

Die Beschäftigten bekommen also genügend Freiraum für ihre Arbeiten, zugleich aber auch ein größtmögliches Maß an Sicherheit. Wie sieht es mit den Verkehrsteilnehmenden aus? Werden auch deren Belange in der neuen Richtlinie berücksichtigt?

André Paul: Die ASR A5.2 betrachtet nur den Arbeitssicherheitsaspekt. Die Belange der Verkehrsseite werden weiterhin in der Straßenverkehrsordnung, den Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA) sowie den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Sicherungsarbeiten an Arbeitsstellen an Straßen (ZTV-SA) geregelt.

Die Bedingungen auf Baustellen müssen also gleich mehreren Richtlinien gerecht werden. Welche konkreten Auswirkungen hat das auf die Abläufe vor Ort?

André Paul: Der uns zur Verfügung stehende Raum ist beschränkt, weil es definierte Abstände gibt, die für die Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden und möglichst fließenden Verkehr sorgen sollen. Bei immer breiter werdenden Fahrzeugen lassen sich auf der vorhandenen Verkehrsfläche jedoch schon jetzt die notwendigen Fahrstreifenbreiten kaum realisieren. Durch die ASR A5.2 kommen zusätzliche Anforderungen hinzu. Das macht die Planungen komplexer.

Was zur Folge hat ...

André Paul: ... dass je nach vorhandenem Platz und bei Arbeiten von Beschäftigten im Grenzbereich zum fließenden Verkehr ein erhöhter Planungs- und Abstimmungsbedarf besteht. Die ASR A5.2 eröffnet zwar die Möglichkeit auch andere Lösungen zu wählen, jedoch müssen sie die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen und sind im Vorfeld mit den für Arbeitsschutz zuständigen Behörden abzustimmen. Die Anwendung der ASR A5.2 kann sogar bis zur Vollsperrung einer Strecke oder Fahrtrichtung führen - mit allen notwendigen Umleitungsmaßnahmen.

Aber wäre eine Vollsperrung dann nicht ohnehin die beste Lösung?

André Paul: Eine Vollsperrung stellt aus Sicht des Arbeitsschutzes sicherlich die optimale Lösung dar. Aus Verkehrssicht ist eine Vollsperrung allerdings die Ultima Ratio, die nur dann zur Anwendung kommt, wenn gar nichts anderes mehr geht.

Warum?

André Paul: Eine Vollsperrung ist - neben dem Aufwand bei der Abstimmung und Einrichtung sowie dem starken Eingriff in den fließenden Verkehr - auch mit erheblichen Gefährdungen der Verkehrsteilnehmenden verbunden. Hier sind exemplarisch Stauendunfälle und Umleitungen auf Straßen, die nicht für die Aufnahme der Umleitungsverkehre konzipiert sind, zu nennen.

Mit welchen konkreten Sicherheitsmaßnahmen fängt Straßen.NRW die gerechtfertigten Belange beider Gruppen - Arbeitende und Verkehrsteilnehmende - also prinzipiell auf?

André Paul: Wir versuchen, wo immer es möglich ist, die verkehrlichen Auswirkungen der planbaren Baustellen zu minimieren. Dabei müssen wir auch die Baustellen anderer Verkehrsträger berücksichtigen. Darüber hinaus kündigen wir die Arbeiten konkret und frühzeitig durch die Medien, Flyer, Beschilderungen, Markierungen, Sicherungshänger oder Leitschwellen an, um die Sensibilität aller Verkehrsteilnehmenden für etwaige Gefahrenquellen zu erhöhen.

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