Videoüberwachung: Datenschutz ist kein Tatenschutz
Ein Video zeigt, wie ein Mitarbeiter vor Schichtende geht. Der Arbeitgeber kündigt dem Angestellten. Dieser klagt, weil die Aufzeichnung gegen das Datenschutzrecht verstoße. Die Gerichte waren uneins, nun hat das BAG entschieden.
Der Fall
Ein Mitarbeiter einer Gießerei betritt vor Schichtbeginn das Werksgelände. Dazu passiert er ein Drehkreuz, dass er mit seinem persönlichen Werksausweis betätigt. Das Kartenlesegerät erfasst gleichzeitig seine Anwesenheit. Doch noch bevor die Schicht des Mitarbeiters beginnt, verlässt dieser das Werksgelände wieder. Die Arbeitszeit lässt er sich dennoch vergüten.
Am Eingangstor zum Gelände ist allerdings eine Videokamera installiert. Diese zeichnet das Kommen und Gehen des Mitarbeiters auf. Nach einem anonymen Hinweis sieht der Arbeitgeber die Aufzeichnungen der Überwachungskamera durch und stellt fest, dass der Angestellte vorzeitig seinen Arbeitsplatz verlässt. Der Arbeitgeber wirft dem Mitarbeiter Arbeitszeitbetrug vor und kündigt diesem zunächst fristlos und einige Tage später ordentlich.
Doch der Mitarbeiter nimmt die Entlassung nicht hin und reicht beim zuständigen Arbeitsgericht eine Kündigungsschutzklage ein. Nach seiner Aussage sei er pünktlich zur Arbeit erschienen und habe die Schicht wie gewohnt abgeleistet. Als der Arbeitgeber anschließend die Videoaufzeichnung präsentiert und damit die Abwesenheit des Mitarbeiters belegt, widerspricht dieser der Verwertung des Videos. Seiner Auffassung nach verstoße die Überwachung gegen das Datenschutzrecht auf Bundes- und EU-Ebene. Ebenso sei die maximale Speicherdauer der Videodaten, die über Hinweisschilder kommuniziert wird, überschritten. Des Weiteren untersage eine Betriebsvereinbarung, dass die Videoaufzeichnungen zu einer Auswertung personenbezogener Daten genutzt werden dürfen.
Aus diesen Verstößen des Arbeitgebers folgert der Mitarbeiter, dass das Video einem Verwertungsverbot unterliege. Damit dürften die Erkenntnisse aus der Aufzeichnung nicht im Kündigungsschutzprozess berücksichtigt werden.
Das Urteil
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen folgten der Argumentationskette des Mitarbeiters und gaben ihm mit seiner Kündigungsschutzklage Recht. Doch das Bundesarbeitsgericht (BAG) war nun anderer Auffassung und hat die Entscheidung des LAG aufgehoben.
Es spiele „keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach“, heißt es in einer Pressemitteilung des BAG. In einem Kündigungsschutzprozess bestehe grundsätzlich kein Verwertungsverbot von Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung. Das gilt zumindest dann, wenn – wie in diesem Fall – ein vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Mitarbeiters belegt werden soll und die Überwachungskamera mit einem Hinweisschild deutlich zu erkennen ist. Im BAG-Urteil heißt es, der Mitarbeiter „wurde nicht heimlich ‚ausgespäht‘, sondern hat sich einer Erfassung seiner möglichen vorsätzlichen Pflichtverletzung ‚sehenden Auges‘ ausgesetzt“.
Ein möglicher Datenschutzverstoß führt laut BAG also nicht automatisch zu einem Verwertungsverbot. Vielmehr müsse das Tatsachengericht die gegensätzlichen Interessen abwägen, ähnlich wie bei nicht normierten Verwertungsverboten im Strafprozess. Nach Auffassung des BAG überwiegt im Prozess um eine fristlose Kündigung wegen vorsätzlichen Fehlverhaltens das Interesse des Arbeitgebers an der Aufklärung des Sachverhalts gegenüber den Datenschutzinteressen des Arbeitnehmers. Hierbei sei entscheidend, ob eine Videoüberwachung offenkundig erfolge. Anderes könnte gelten, wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Dies konnte das BAG offenlassen, denn das war vorliegend nicht der Fall.
Mit dieser Entscheidung wies das BAG den vorliegenden Fall zu erneuten Überprüfung an das LAG zurück. Das LAG muss nun die Aufzeichnungen im Prozess berücksichtigen.
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